Ausweitung der Designzone

Frans Vogelaar sitzt an seinem Labtop im großen hellen Atelier an der Köpenicker Straße und erklärt voller Begeisterung den „Humboldt Volcano“. Die Renderings auf dem Bildschirm zeigen das neueste Projekt des Hybrid Space Lab, das Vogelaar zusammen mit seiner Partnerin und Lebensgefährtin Elisabeth Sikiaridi betreibt. Es handelt sich um eine Art spitz zulaufenden Anbau, der sich wie eine begehbare Installation aus übereinander gestapelten Plattformen an der Fassade des Humboldt-Forums hinauf rankt. In der Konstruktion, auf der Bäume aus aller Welt wachsen, sollen verschiedene Restaurants untergebracht werden. Der Entwurf basiert auf der Zeichnung eines Vulkans, die Alexander von Humboldt auf einer seiner Reisen machte.

„Das wird wohl nicht realisiert werden“, sagt Vogelaar und lacht. Es scheint ihn nicht weiter zu frustrieren.
Die Griechin und der Holländer sind Designer, Architekten und Professoren – er unterrichtet an der Kunsthochschule für Medien in Köln, sie an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Bereits vor 30 Jahren gründeten sie das Hybrid Space Lab, um die Grenzbereiche des Designs zu erforschen. Heute nennt sich vieles „Lab“ und „hybrid“, damals war das visionär. „Hybrid“, erklärt Sikiaridi, „stand anfangs für analog und digital, und ist inzwischen Strategie.“ Die Aufgaben von Design sind komplexer geworden, sind die beiden überzeugt. „Heute geht es weniger um Objekte, als um Prozesse“, so Sikiaridi. Und darum, auf gesellschaftliche, politische und ökonomische Entwicklungen – und Krisen – zu reagieren.

Der Designer als Spezialist der Vermittlung
In den letzten Jahren ist die Flut an Informationen, die wir zu bewältigen haben, immer größer geworden, Entscheidungen müssen immer schneller getroffen werden. Politische, ökonomische und ökologische Systeme sind instabil. Der Ausverkauf der Städte an internationale Investoren verknappt den Lebensraum.
Hier können Designer als Vermittler fungieren. „Wir sind Spezialisten für kreative Prozesse“, sagt Sikiaridi. Das hat mit klassischem Industriedesign, wie es Vogelaar in den 80er Jahren an der Design Academy in Eindhoven studiert hat, nur noch bedingt zu tun. „Industriedesign hat mit Planbarkeit zu tun, da müssen wir heute völlig umdenken“, sagt Sikiaridi, die in Paris und Darmstadt Architektur studiert und später bei Günter Behnisch gearbeitet hat. „ Unsere Gestaltungsaufgabe besteht heute darin, Netzwerke aufzubauen, Akteure mitzunehmen, Vorstellungen zu öffnen.“
Zum Beispiel die Vorstellung von einer Gestaltung und Nutzung des städtischen Raumes, die nicht von oben verordnet wird, sondern gewissermaßen organisch wachsen kann. So wie der Humboldt-Dschungel, das erste Projekt, das Sikiaridi und Vogelaar für das Humboldt-Form entwickelt haben, ein vertikaler tropischer Garten für die Fassade des rekonstruierten Stadtschlosses. „Es geht hier nicht einfach um Fassadenbegrünung“ erklärt Vogelaar. „Die steinerne Fassade des Humboldt Forums wird zum 97 Prozent durch Roboter hergestellt, sie wird somit tödlich langweilig wirken. Berlin möchte Weltstadt werden, das Forum ist vom Anspruch vergleichbar mit dem British Museum kombiniert zusammen mit dem Centre Pompidou Was hier geplant ist – ein Raum für globalen Austausch – ist eigentlich spannend, aber das Gehäuse ist eine Katastrophe!“
Der vertikale Dschungel hätte symbolische Bedeutung an diesem geschichtsträchtigen Ort, er stünde für organischen Neuanfang, dafür, Gras wachsen zu lassen über die Vergangenheit und würde zum Namensgeber und Forschungsreisenden Humboldt passen. Außerdem hätte er den ganz praktischen Nutzen, im Sommer an einem der heißesten Orte der Stadt für Kühlung zu sorgen. „Das Projekt ist realistisch und unrealistisch zugleich. Es ist machbar, aber wenn die Verantwortlichen es nicht wollen, wird es nicht gemacht.“

New Tendency – Systeme, mit denen man arbeiten kann
Auch Manuel Goller und Sebastian Schönheit sind überzeugt davon, dass die Zeiten in denen Designer allein in ihrem Studio sitzen und komplett neue Dinge und Formensprachen entwickeln, vorbei sind. „Heute geht es viel mehr um den Kontext. Wir suchen unterschiedliche Referenzen und gestalten durch Komposition. Das hat viel mit Bildsprache zu tun, mit der Frage, wie ein Möbelstück im virtuellen Raum existiert.“ Potenzielle Kunden entdecken Designprodukte heute oft im Netz. Daher ist ansprechende Präsentation wichtig. Manchmal kann eine solche Präsentation zur eigenständigen kreativen Arbeit werden, wie in der Zusammenarbeit mit dem Modefotografen Jonas Lindström, der für New Tendency Filmprojekte realisiert hat. Das interdisziplinäre Arbeiten gehört zum New Tendency-Konzept. Regelmäßig gibt es auch Kooperationen mit anderen Designern wie Sigurd Larsen, mit dem zusammen Goller und Schönheit das Regal Click Shelf entworfen haben.

2009, noch als Studenten der Bauhaus-Universität in Dessau, gründeten Goller und Schönheit ihr Unternehmen, das zunächst den Namen „My Bauhaus is better than yours“ trug. Bis sie die Baumarkt-Kette Bauhaus, die absurderweise die Namensrechte besitzt, 2012 zwang, sich umzubenennen und sie den Namen „New Tendency“ wählten.
Am Ende kommen dennoch Objekte heraus, Alltagsgegenstände vom Tisch bis zum Glas. Produkte, die den Nerv der Zeit treffen, wie die weltweit wachsende Fangemeinde des jungen Labels beweist.
Zum Beispiel der Tisch Mesa, den es in unterschiedlichsten Formaten, Farben und Oberflächen gibt. „Wir wollten nicht einfach einen Tisch entwerfen, sondern ein System, mit dem man arbeiten kann.“ Und das der Tatsache Rechnung trägt, dass Wohn- und Arbeitswelten immer mehr verschmelzen, der knapper werdende urbane Raum vielseitig genutzt werden muss. Und den Dingen, in Zeiten, in denen sich das Leben immer mehr in virtuellen Räumen abspielt, eine neue Bedeutung zuwächst.
„Material, Wertigkeit, Gestaltung und die Geschichte hinter dem Produkt – all das ist wichtig. Die Leute suchen sich sehr bewusst Dinge aus, mit denen sie leben wollen.“
Auf die Frage, ob sie sich mit dem utopischen Impetus von Bauhaus-Gründer Walter Gropius identifizieren können, der 1919 forderte: „Verlangen wir einfach das scheinbar Unmögliche, so bin ich überzeugt, dass es gelingt“, winken die Jungdesigner bescheiden ab.
„Unmögliches verlangen wir eher nicht, aber wir versuchen schon, der Tendenz, alles auf Kostenredaktion und Effizienz zu trimmen, einen gestalterischen Anspruch entgegen zu setzen, eine gewisse Poesie.“

Architektur-Aktivismus
In der Loft-Etage von Graft Architekten, die man über viele Stufen oder einen Lastenaufzug erreicht, ist es heiß. Eine Klimaanlage gibt es nicht. „Für die paar Tage im Jahr lohnt sich das nicht“, sagt Wolfram Putz, der das Unternehmen 1998 mit seinen Studienkollegen Lars Krückeberg und Thomas Willemeit in Los Angeles gegründet hat. Inzwischen gibt es in Peking einen dritten Standort. Vor Putz auf dem Tisch liegt das gerade erschienene Buch „Architecture Activism“, das zehn Graft-Projekte vorstellt, die beweisen, dass Avantgarde-Design und soziales Engagement sich nicht ausschließen. Zu einer gewissen Berühmtheit hat es „Make it right“ gebracht, der Wiederaufbau der vom Hurricane Katrina völlig zerstörten Lower Ninth in New Orleans, die Graft zusammen mit dem Schauspieler Brand Pitt realisiert hat. Für New Orleans entwarfen die mit vielen Preisen ausgezeichneten Architekten günstige, nachhaltige und energieeffiziente Häuser. Es ging auch darum, zu zeigen, wie Brad Pitt es formulierte, „dass grüne Technologie kein Spielzeug für Reiche ist.“
Das neueste Projekt von Graft heißt Heimat 2 – günstige und dennoch würdevolle Unterkünfte für Geflüchtete auf der Basis von Containern. Die lassen sich schnell aufstellen, kosten wenig und müssen nicht hässlich monoton sein. „Wir haben die Monumentalität der Wiederholung des gleichen Moduls aufgelöst, indem wir die Container verrückt haben“, erklärt Putz den Entwurf. Das ergibt eine individuelle Fassade und im Inneren entstehen überall kleine Nischen, statt eines schmalen Flurs, eine Art „Lineares Wohnzimmer.“ Außerdem schafft Heimat 2 deutlich mehr Gemeinschaftsraum als von den Behörden gefordert – ohne die vorgegebenen Kosten zu überschreiten. „Es ist immer noch eine Wohnkiste“, sagt Putz, „aber sie kann eben etwas mehr.“
Geplant war, das Projekt noch in diesem Jahr in Berlin zu realisieren, da jetzt doch weniger Menschen kommen, als im vergangenen Jahr angenommen, ist nicht klar, ob es realisiert wird. Von den eigentlich von der Stadt zugesagten 60 Grundstücken sind nur 10 übrig geblieben.

Obwohl sie herausragende architektonische Lösungen für Menschen in Krisensituationen entwerfen, betrachten die Graft-Architekten ihre Firma nicht als Aktivismus-Firma. Der Aktivismus ist eher etwas, das selbstverständlich mitläuft. „Das ist keine Spezialarchitektur. Jeder berühmte Architekt hat sich auch mit sozialer Architektur beschäftigt. Günstiges Wohnen für Menschen – das ist die eigentliche Aufgabe der Architektur“, erklärt Putz. Spektakuläre Villen, Bürogebäude und Hotels bauen sie natürlich auch. Gegen den Wunsch nach Profit anzugehen, findet Wolfram Putz, ist wie gegen die Schwerkraft anzugehen.
„Wir denken einfach, jeder der kann, der sollte bei einem Teil seiner Arbeit über den eigenen Vorteil hinaus denken – weil wir einen darin Vorteil sehen, wenn das alle machen.“