Die Hofnarren

David Kurt Karl Roth und Carl Jakob Haupt sitzen im Foyer eines Fünf-Sterne-Hotels in Dubai und winken in die Kamera ihres Laptops. Kurz zuvor haben sie Modefotos in der Wüste gemacht und sich auf einer fetten Jacht spazieren fahren lassen. „Traumjob, klar“, sagen sie. „Tolle Einladungen und jede Menge Kohle.“ Sie grinsen wie zwei Schuljungen, die etwas ausgefressen haben. Dann bricht die Verbindung ab.
Nicht leicht, die Betreiber von Deutschlands führendem Männermodeblog Dandy Diary zu fassen zu kriegen. Die Hälfte ihrer Arbeitszeit verbringen sie auf Reisen. New York, Tokio, Florenz oder Kopenhagen – überall auf der Welt werden sie eingeladen zur Präsentation von Marken-Produkten und -Kampagnen. Was sie da erleben und vor allem: was sie anhaben, kann man auf ihrem Blog verfolgen – und natürlich auf Facebook und Instagram.
In der Markham-Wüste außerhalb von Dubai tragen die 31-Jährigen, die sich seit Schulzeiten kennen, Adidas Y-3-Hosen, Westen von Trinitas, Sonnenbrillen von Acne und Chucks von Converse. Jakob springt über Wüstensand, um den Hals eine rot-weiße Kefije, ein arabisches Kopftuch, die Brillengläser funkelnd blau in der Sonne. David lehnt mit Pelzmütze am massigen Kühlergrill eines Cadillac Escalade. Die Reise hat Cadillac bezahlt. Dafür ist das Auto im Bild zu sehen. Das war der Deal.
„Wenn der Event oder das Produkt stimmt, machen wir das gerne“, sagt David. „Denn so bekommen wir die Chance, außergewöhnlichen Content zu produzieren. Das ist ein Gewinn für den Leser, den ausschließlich Berlinproduktionen auf Dauer langweilen würden.“ Die Qualität der Fotostrecken ist ein Alleinstellungsmerkmal unter den Fashion-Blogs. Was 2009 mit „Look du Jour“-Schnappschüssen von David Roth begann, hat sich zu professionellen Produktionen entwickelt, die den Vergleich mit Hochglanzmagazinen nicht scheuen müssen.
Auf Dandy Diary zu erscheinen, ist für Markenartikler ausgesprochen attraktiv. 350.000 Besucher hat die Seite jeden Monat. Die Ansprache ist persönlich, authentisch und damit glaubwürdig. „Die Zusammenarbeit mit Blogs ist inzwischen fester Bestandteil der Mediaplanung“ erklärt Kerstin Geffert, Geschäftsführerin der PR-Agentur Silk Relations, die Marken wie Nike, Levis oder Uniqlo vertritt. Für alle drei Marken hat sie schon mit Dandy Diary zusammengearbeitet. „Im Bereich progressive Männermode gibt es zu ihnen kaum Konkurrenz“.
Wichtiger als bei einer Anzeige in einem Printmagazin sei bei der Zusammenarbeit mit Bloggern allerdings, dass die Ausrichtung des Blogs zu einem Produkt passt. „Es macht nur Sinn für eine Marke, wenn Leser glauben, dass David und Jakob die Sachen wirklich tragen“, so Geffert. Im Fall der Uniqlo-Daunenjacken, die im November auf Dandy Diary zu sehen waren, ist das offenbar der Fall. Geffert traf die beiden zufällig und sie hatten die Jacken an. „Dafür habe ich gar nicht bezahlt“, sagt sie und lacht.
Sich dafür bezahlen zu lassen, bestimmte Dinge zu zeigen oder sogar selbst Produkte für Marken zu entwickeln, sei kein Problem, findet David Roth. Sie haben ja die Freiheit zu entscheiden, was sie machen wollen und was nicht. Das sei mehr, als die meisten Modemedien von sich behaupten können, in denen der Inhalt mehr und mehr von Anzeigenkunden bestimmt wird. „Wir haben im Vergleich zu Modemagazinen wenig Kosten und sind daher freier und unabhängiger in der Berichterstattung. Wir schreiben, was uns gefällt und was nicht. Klingt simpel, ist in der Modebranche aber ein Novum.“
Und im Gegensatz zu den meisten Blogger-Kollegen und vor allem Kolleginnen, die sehr artig und affirmativ daher kommen, machen Roth und Haupt von ihrer Freiheit ausgiebigen Gebrauch. Sie haben auch kein Problem damit, sich mit den Big Playern anzulegen. „Unsere Rolle in der Modebranche ist es, den Großen ans Bein zu pissen“, sagt Roth.
Gerne zum Beispiel H&M. Sei es in einem (gefaketen) Video über Kinderarbeit, mit dem der Konzern immer wieder in Verbindung gebracht wird, oder mit dem Kommentar zur Kooperation mit Balmain-Designer Olivier Rousteing, von dem es heißt: „Rousteing macht Mode für Menschen, denen zur Schau gestellter Reichtum wichtiger ist als guter Geschmack“. Illustriert wird der Beitrag mit einem Bild des verstorbenen libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi.
Bei Dandy Diary stehen schlichte Kaufempfehlungen neben vernichtenden Kommentaren. Manchmal wird beides sogar verbunden wie im Fall einer Lederjacke von Matthew Miller. „NOCH beschissener und vollends zum Kotzen wird’s, wenn man sich eine mit kritischen Botschaften bekritzelte Designer-Lederjacke kauft. Was sind das für Menschen? Ich wills gar nicht wissen – und wünsche den Arschgeigen eine ähnlich üble Frisur, wie dem armen Schwein, das diese Drecksjacke hier als Model tragen musste“, schreibt Jakob Haupt. Dann folgt der Link zum Shop: „Sollte sich aus irgendwelchen Gründen doch jemand berufen fühlen, 1.350,- Dollar für diese Jacke auszugeben: hier entlang. Und bitte komm nie wieder.“
Diverse Strafanzeigen und Schadenersatzklagen sind die Folge dieser Art Berichterstattung. Provokation ist Teil des Dandy Diary-Konzepts. Immer wieder sorgen Roth und Haupt für Schlagzeilen. Die Fashion Week 2012 eröffneten sie mit einem Mode-Porno, der binnen 24 Stunden von der Staatanwaltschaft von der Seite verbannt wurde. 2013 schickten sie in der Dolce & Gabbana-Show einen Flitzer über den Laufsteg, sie veranstalten wilde Partys und produzieren schräge Musikstücke mit entsprechenden Videos dazu. Aber Provokation sei, wie Roth betont, kein Selbstzweck. „Es geht darum, Ideen zu realisieren, etwas Neues und Originelles zu schaffen.“
Neu und originell war es in den Anfangszeiten von Dandy Diary, sich als junger heterosexueller Mann überhaupt mit Mode- und Stilfragen zu beschäftigen. Roth und Haupt haben hier eine Vorreiterrolle übernommen. Sie führen vor, dass sich Maskulinität und Mode nicht ausschließen. Gerne treiben sie das Spiel in ironischen Inszenierungen von „Lad Culture“ auf die Spitze, in denen Männer-Klischees wie der fußballspielende, saufende Proll in Ballonseide lustvoll durchdekliniert werden.
Was bei all dem Krawall leicht übersehen wird, ist dass auf Dandy Diary auch kluge Modekritik geboten wird. Ein Modeporno ist nicht einfach ein kruder Scherz, sondern ein Kommentar zur Sexualisierung von Mode. Und ganz nebenbei wird im Dandy Diary-Porno, in dem die Protagonisten ausführlich beim Anziehen nach dem Sex gezeigt werden, der Mode mehr Wertschätzung zuteil als etwa in einer Kampagne von American Apparel, die Kinderporno-Assoziationen weckt.
Gesellschaftliche Strömungen abzubilden und dabei hintergründige Betrachtung mit größtmöglicher Aufmerksamkeitserregung zu kombinieren, verstehen Roth und Haupt wie kaum jemand sonst. Sie sind damit so etwas wie die Hofnarren der Modeszene. Sie halten ihr einen Spiegel vor, der Eitelkeiten und Marotten gnadenlos enthüllt. Was natürlich nicht heißt, dass sie selbst nicht auch verdammt eitel wären. Narzisstische Posen und kokette Selbstinszenierungen in endloser Variation sind das Herzstück von Dandy Diary – und machen den Blog so unterhaltsam.