Die Beauty Boys

Manny lächelt in die Kamera. Er sieht aus wie ein netter Junge von nebenan. Er hat kurze dunkle Haare, dunkle Bartstoppeln und trägt ein schlabberiges grünes T-Shirt. Er sitzt in seinem Zimmer, im Hintergrund ein Sofa, darauf ein Kissen mit Totenkopf-Muster. Man würde erwarten, dass er gleich Musik macht. Irgendetwas Rockiges. Tut er aber nicht. Statt dessen zeigt Manny, Künstlername MannyMua, seinen Zuschauern wie er sich schminkt. „Fresh Summer Make up“ ist das Thema des 12 Minuten dauernden Tutorials. Mit geübten Bewegungen trägt er Foundation auf, überdeckt dunkle Augenringe mit Concealer, konturiert seine Nase, um sie schmaler erscheinen zu lassen. Er erklärt den Gebrauch von Bronze-Puder und Highlighter und macht zwischendurch Witze, über die er selber lachen muss. Am Ende sieht er immer noch aus wie ein netter Junge von nebenan, nur eben geschminkt. Ein Anblick, der irritiert. Der aber möglicherweise immer normaler werden wird. Denn Manny Gutierrez ist Teil der Beauty Boys-Bewegung, die immer mehr Anhänger findet. Der 25-jährige aus San Diego ist „Beauty-Vlogger“, das heißt er postet Videos auf YouTube, in denen er sich schminkt, alle einzelnen Schritte zum Nachmachen erklärt und die Produkte zeigt, die er verwendet. Etwa drei Millionen Fans hat er in den sozialen Netzwerken. Und er ist nicht allein. Immer mehr junge Männer haben beschlossen, das Thema Make up nicht mehr den Mädels zu überlassen. Dass dieser Trend ein großes Marktpotenzial birgt, haben amerikanische Beauty-Konzerne erkannt. Ende letzten Jahres engagierte das Unternehmen CoverGirl den Make up Artist und Social Media Star James Charles als weltweit ersten Cover Boy. Maybelline zog im Januar nach und machte Manny Gutierrez zum Markenbotschafter und Star der Big Shot Mascara Werbung. Es folgten der 17jährige Lewys Bell für Rimmel und Jake-Jamie Ward für L’Oreal England.
Während die Werbewirksamkeit weiblicher Schminkprofis schon lange genutzt wird, werden die Männer gerade erst entdeckt – auch weil unter den Anhängern auch viele Frauen sind – immer noch die Hauptabnehmerinnen der Produkte.

Natürlich hat es schon immer Männer gegeben, die sich schminken. Es ging dabei allerdings meist um Akte der Provokation oder des Rollenspiels. Rockstars wie David Bowie kreierten Bühnen Alter Egos, Drag Queens vollzogen demonstrative Verwandlungen. Das Schminken als alltäglicher Akt der Körperpflege und Verschönerung, für viele Frauen selbstverständlich, gilt immer noch als unmännlich. Und man weiß die geschminkten Jungs nicht recht einzuordnen.
In der Talk-Show von Ellen de Generes erzählte der 17jährige James Charles, dass es eine Weile gedauert hat, seinen – durchaus aufgeschlossenen – Eltern zu erklären, dass er weder Drag Queen noch Transgender ist, sondern „einfach ein Junge, der sich schminkt.“
Und Jake-Jamie Ward träumt davon, dass „es für zukünftige Generationen ganz normal sein wird, sich zu schminken – unabhängig vom Geschlecht.“
Zum Teil ist die Aufmerksamkeit für die Beauty Boys wohl einem allgemeinen Aufschwung der Kosmetikbranche zu verdanken. Durch das permanente Posten von Selbstportraits wächst der Druck, fototauglich auszusehen und damit die Bereitschaft, für Beauty-Produkte Geld auszugeben. Und während es dem Modeeinzelhandel schlecht geht, eröffnen Kosmetikketten einen Laden nach dem anderen.
Es steckt aber noch mehr dahinter: nämlich eine grundlegende Veränderung der Geschlechterrollen. Die Grenzen werden fließender. Miuccia Prada hob im vergangenen Jahr die Trennung zwischen Männer- und Frauenshows auf, Alessandro Michele entwarf für Gucci mit großem Erfolg Rüschenblusen für Männer, androgyne Models wie Andrej Pejic und Slick Woods eroberten Magazine und Laufstege. Gefeierte Avantgarde-Designer wie Demna Gvasalia und J.W. Anderson unterscheiden überhaupt nicht mehr zwischen Männer- und Frauenmode. „Es gibt mittlerweile eine Generation, die keine Unterschiede mehr sieht zwischen Mann und Frau, der es darum geht, einfach so zu sein, wie man eben wirklich ist”, so Anderson. Und während David Beckham in den 90ern noch das Etikett „metrosexuell“ verpasst bekam, überschreitet Jaden Smith, Sohn von Schauspieler Will Smith, als Model der Louis Vuitton Womenswear Kampage mit so lässiger Selbstverständlichkeit die Geschlechtergrenzen, dass es kaum noch der Rede wert scheint.
„In Deutschland kommt der Trend eher zögerlich an“, sagt der Modedesigner Lukas Butkiewicz, der gelegentlich am Make up Counter von Saint Laurent im KaDeWe arbeitet. Seine Augenbrauen sind gestylt, Foundation lässt die Haut ebenmäßig erscheinen, seine Nägel hat er grau lackiert. In Berlin wird er dafür nicht angemacht, anderswo schon. Männer mögen „Zauberprodukte“ sagt er, also Produkte, die dezent verschönern, ohne dass man es deutlich sieht. „Dass Männer sich schminken, ist normaler geworden, aber normal ist es noch lange nicht.“