Die Duftmischer der Medicis

Ein sonniger Vormittag im Jahr 1958. Ein Junge betritt an der Hand seiner Urgroßmutter die Officinia Santa Maria Novella an der Florentiner Via della Scala. Die großen goldenen Engel, die die Tür zum Kreuzgang bewachen und das prachtvolle Wappen der Medici an der Wand interessieren den Jungen wenig. Während die Urgroßmutter Seife kauft und vielleicht ein Fläschchen Likör, durchstreift er die Räume. „Ich habe mich gelangweilt und die Möbel auseinander genommen“, sagt Eugenio Alphandery und lacht.
Der Junge von einst ist heute 70 Jahre alt und die Officina ist sein Unternehmen. Aus einem Betrieb, dessen legendäre Geschichte am Ende schien, hat er eine Firma gemacht, deren hochwertige Naturkosmetik, Düfte, Kräuteressenzen, und Liköre weltweit gefragt sind.
Alphandery sitzt im kleinen Garten der Officina und trinkt Espresso. Im Kloster Santa Maria Novella residierten im Mittelalter die Päpste, wenn sie nach Florenz kamen, hier hatte Leonardo da Vinci ein Atelier. Heute füllen sich die historischen Verkaufsräume langsam mit Besuchern. Ehrfürchtig betrachten sie die Fresken an der Kuppeldecke, die mittelalterlichen Destillationsflaschen in den Apothekerschränken und nähern sich den Verkaufstheken, an denen junge Damen in vielen Sprachen Auskunft über die fast 700 Produkte des Hauses geben.
Obwohl die Officina SMN keine Werbung macht, hat sie eine große Fangemeinde. Ihre Kunden sind Menschen, die Qualität zu schätzen wissen, ist der Chef überzeugt. „Immer mehr Menschen wollen sehr genau wissen, was in ihrer Kosmetik steckt“, sagt er. Bei der Officina SMN ist das ganz einfach: nur das Beste. „Bei großen Kosmetikunternehmen fließt mehr als die Hälfte der Kosten ins Marketing. Was andere in Werbung investieren, investieren wir in unsere Produkte“, sagt Alphandery. Alle Inhaltsstoffe werden im eigenen Garten angebaut, bis auf wenige Ausnahmen wie Vetiver oder Sandelholz, die in Florenz nicht wachsen. Bis vor ein paar Jahren stammten alle Zutaten direkt aus dem Klostergarten, heute werden sie ein paar Kilometer entfernt am Stadtrand gepflanzt.

Elixiere gegen die Pest
Viele Rezepturen sind Jahrhunderte alt, so alt wie die Officina selbst. Ihren Anfang nahm sie, als im 13. Jahrhundert Dominikanermönche im Kloster Santa Maria Novella eine Krankenstation mit Apotheke einrichteten. Sie bauten Heilkräuter an und stellten Medikamente, Balsame und Salben her. Auf der Suche nach einem wirksamen Mittel gegen die Pest, die im Jahr 1384 zwei Drittel der Florentiner Bevölkerung dahingerafft hatte, kreierten sie Rosenwasser, das antiseptisch wirken sollte. Das tat es zwar nicht, aber das wohlriechende Tonikum ist bis heute eines der beliebtesten Produkte der Officina. Der Ruf der Klosterapotheke wuchs, vor allem dank einer prominenten Kundin: Im Jahr 1533 beauftragte Katharina von Medici die Mönche mit der Herstellung eines Duftwassers. Das „Acqua della Regina“ war das erste Parfum der Welt auf Alkoholbasis. Heute trägt der Bergamotte-Duft den Namen „Acqua di Santa Maria Novella“. Das Rezept des Duftes nahm Jahre später der Parfumeur Giovanni Paolo Feminis mit nach Norden, wo er das Duftwasser zu Ehren seiner Wahlheimat „Eau de Cologne“ nannte.
In Florenz wuchs die Nachfrage nach den Düften und Salben und im Jahr 1612 beschloss der Abt Fra Angelico Marchissi die Apotheke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – und dem Kloster so eine neue Einnahmequelle zu eröffnen. Die ‚Officina Profumo Farmaceutica die Santa Maria Novella’ war geboren und ist seitdem ununterbrochen im Betrieb. Bereits kurz nach Eröffnung wurde sie von den Medici zur Hoflieferantin ernannt.
Bei seinem zweiten Besuch langweilte sich Eugenio Alphandery nicht. Als ausgebildeter Ingenieur wurde er gebeten, eine der alten Maschinen zu reparieren. 30 Jahre ist das inzwischen her.
Er erkannte das Potenzial des Unternehmens, das damals gerade noch drei Mitarbeiter hatte. Nachdem die Officina wie aller Kirchenbesitz nach der Einigung Italiens Ende des 19. Jahrhunderts enteignet und unter staatliche Verwaltung gestellt wurde, war es langsam bergab gegangen. Der Klosterhof war zu klein für systematischen Anbau, die Maschinentechnik veraltet. Dass man hier viel tun könnte, erkannte der Techniker Alphandery, der zu diesem Zeitpunkt in der Textilindustrie arbeitete.
Dennoch zögerte er. Interessierte er sich doch im Grunde wenig für Kosmetik und Düfte. Bis heute verwendet er gerade mal die Seife des Hauses. Pflege des grauen Bartes, Sonnenschutz für die wettergegerbte Gesichtshaut? „Ach was“, winkt er ab und lacht sein raues Lachen. „Ich bin eigentlich mehr ein Mann des Sportes“. Seine Passion gilt alten Motorrädern und dem Segeln – zurzeit plant er gerade eine Atlantiküberquerung.
Aber eine französische Freundin redete ihm zu, in das Unternehmen einzusteigen. Nur ganz beiläufig erwähnt er deren Namen – als handelte es sich um irgendwen und nicht um eine der Ikonen des europäischen Films: Catherine Deneuve. Man geht sehr diskret um mit den vielen prominenten Kunden, zu Werbeträgern werden sie nur, wenn sie sich selbst dazu machen, wie Nicole Kidman, die ‚Muschio Oro’ in einer Frauenzeitung als ihren Lieblingsduft nannte.
Deneuve erklärte ihm, dass die Produkte des Hauses etwas ganz Besonderes seien, perfekt geeignet für Menschen, für die Luxus nichts mit Protz zu tun hat.
Alphandery war Unternehmer genug, dass es ihn reizte, die Firma auf Erfolgskurs zu führen. Er verlegte die Produktion in ein modernes Labor und richtete in den frei gewordenen Räumen im Stammsitz ein Museum und ein Café ein, so dass das Einkaufen zum besonderen Erlebnis wird. Er kaufte Grundstücke für den Anbau der Zutaten. Und er verstand es, die in Zeiten von Überangebot wachsende Sehnsucht nach Produkten mit Geschichte zu nutzen und den asiatischen Markt auszubauen. Die Entscheidungen waren offenbar richtig.
75 eigene Läden hat die Officina mittlerweile, in Europa, USA und Asien, exklusive Online-Stores wie Net-a-Porter und Franque haben die Produkte im Programm. Der Umsatz hat sich in den letzten zehn Jahren auf 27 Millionen Euro verdreifacht.
Alphandery ist ein Vorgesetzter der alten Schule. Als er an der Hintertür klingelt, beeilt sich die Mitarbeiterin zu öffnen. Auch der Espresso kommt subito. Der Chef mag es nicht zu warten.

Die Alchemisten im Labor
Von mittelalterlichem Charme ist in der Produktionsstätte wenige Kilometer von der Via della Scala entfernt nichts zu spüren. Hier arbeiten die Alchemisten von heute in einem modernen Zweckgebäude mit Laborkitteln und Schutzbrillen an Hightech-Maschinen, eine ‚elektronische Nase’ überprüft die Zusammensetzung der Produkte und registriert selbst minimale Abweichungen. In einem Ofen brüten Cremes im Langzeittest – selbst bei 45 Grad Celsius dürfen sich keine Bakterien ausbreiten. Einige Maschinen hat Alphandery, der ‚Ingeniere’, selbst entwickelt, eine Maschine zum Pasteurisieren von Düften etwa hat er der Weinindustrie abgeschaut.
In einem Kessel werden Seifenflocken mit Milch vermischt, anschließend in Stücke gepresst, die dann 30 Tage in einem speziellen Schrank trocknen. Erst dann sind sie fertig und werden in Wachspapier verpackt.

Beete voll Myrte, Geißklee und Clyantus
Noch ein paar Kilometer weiter außerhalb von Florenz wachsen zu Füßen einer Medici-Villa auf 15.000 Quadratmetern 2.500 Pflanzen.
Die hauseigene Rosenzüchtung ‚Rosa Novella’ verströmt einen süßen Duft, flankiert von Lavendelbüschen. Schmetterlinge tanzen über Beeten voll Myrte, Geißklee, Clyantus, Rosmarin, Minze und Iriswurzeln. Vor allem die unscheinbare Iriswurzel ist einer der wichtigsten Grundstoffe der Parfumherstellung – und einer der kostbarsten. Sagenhafte 15 Tonnen getrocknete Wurzel braucht es, um einen einzigen Liter Duftöl zu gewinnen. Ebenso unscheinbar wächst ein weiteres Kraut mit knubbeligen kleinen Blüten am Rand eines Kiesweges: Balsamkraut, auch Marienblatt oder Frauenminze genannt, das vielfältige Heilwirkungen hat. In der Officina wird es einerseits zu ‚Acqua Antihisterica’ verarbeitet, einem Tonikum, das die Nerven beruhigt und andererseits zu den berühmten S.M. Novella Mints-Pastillen.
Die Mittagshitze liegt mittlerweile flirrend über den Beeten, durch das Laub der Orangenbäume fällt der Blick auf die Kuppel des Domes.
Ob der Mythos der Medici-Stadt und die Aura des mittelalterlichen Klosters zum Erfolg der Officina beiträgt? „Vielleicht“, räumt Alphandery ein. Wobei die Geschichte nicht ganz so romantisch ist, wie viele sich das vermutlich vorstellen. „Wir haben in den alten Büchern auch Rezepte für Gesichtscremes mit ‚geheimen Zutaten’ wie Schlangengift oder Stierkacke gefunden“, erzählt der Chef der Officina Profumo Farmaceutica di Santa Maria Novella amüsiert. „Die haben wir natürlich nicht mehr im Programm.“