Entscheidung über Leben und Tod

Order Disulfiram treatment of mania buy diflucan Wenn Anne Kalk an die Zukunft mit ihrer kleinen Tochter Ana denkt, macht sie sich manchmal Sorgen. Wird die Kleine in der Kita gut aufgehoben sein, so dass sie selbst, wie geplant, wieder arbeiten kann? Als freiberufliche Kostümdesignerin will die 38jährige nicht zu lange aussetzen. Kommt ihr Sohn, auch erst zweieinhalb, damit klar, so viel mütterliche Aufmerksamkeit abgeben zu müssen? Wird sie auch mit zwei Kindern Jobs in Portugal oder Palästina annehmen können? Das Reisen mit einem Kind hat gut geklappt, aber mit zweien? Und wird das Pendeln zwischen Berlin und Jena, wo der Vater ihrer Kinder lebt, vielleicht auf Dauer doch zu anstrengend? Die ganz normalen Sorgen einer modernen Mutter. Und dann auch wieder nicht. Anne Kalk muss sich nämlich auch fragen, ob ihre Tochter je so sprechen lernen wird, dass sie sich verständlich machen kann. Ob sie je in der Lage sein wird, einen Beruf auszuüben, der sie glücklich macht. Ob sie angefeindet und ausgegrenzt werden wird, für unwert befunden vielleicht sogar, überhaupt am Leben zu sein. Denn Ana hat Trisomie 21, besser bekannt als Down-Syndrom. Man sieht es auf den ersten Blick in das rundliche Gesicht des sieben Monate alten Babys: die schrägen, asiatisch anmutenden Augen sind unverkennbar. Kalk und ihr Lebensgefährte wussten es seit dem 5. Schwangerschaftsmonat. Sie haben sich bewusst dafür entschieden, ein behindertes Kind zu bekommen. Dank moderner medizinischer Möglichkeiten wird das, was früher einfach Zufall war, als Schicksal oder Gottes Wille hingenommen werden musste, zur Verantwortung der werdenden Eltern. Die medizinischen Möglichkeiten der Früherkennung von Krankheiten und Behinderungen haben sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt. Dank hoc entwickelter Ultraschallgeräte können werdende Eltern nicht nur frühzeitig ihrem Baby beim Daumenlutschen zusehen und erfahren, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird, sondern es können auch Fehlentwicklungen frühzeitig erkannt werden. Vorsorgeuntersuchungen suggerieren Sicherheit – und bieten sie ja oft auch. Hat die Mutter Eisenmangel, kann der leicht behoben werden. Hat sich das Kind bis kurz vor der Geburt nicht gedreht, kann ein Kaiserschnitt Mutter und Kind vor Schaden bewahren. Auch können manche organischen Fehlentwicklungen, beispielsweise der Harnwege, heute bereits im Mutterleib behandelt werden. Aber die Vorstellung, durch Untersuchungen die Gesundheit des Kindes sicherzustellen, sind natürlich irrig. Es herrscht die Illusion vom „machbaren gesunden Kind.“ Euphemistische Formulierungen wie „mit der Untersuchung können Fehlentwicklungen ausgeschlossen“ werden, tragen zu diesem Irrtum bei. Feindiagnostik bedeutet ja gerade nicht das Ausschließen, sondern das Aufspüren von Krankheiten und Behinderungen aller Art. Darüber müssen Ärzte werdende Eltern belehren, in einigen Fällen müssen die Belehrungen sogar schriftlich bestätigt werden. Trotzdem denken die meisten vorher nicht darüber nach, was es bedeutet, wenn das Ergebnis der Untersuchung eben nicht „alles in Ordnung“ ist. „Meiner Erfahrung nach“, sagt Dr. Peter Rott, Spezialist für Pränataldiagnostik in der gynäkologischen Praxis FERA im Wenckenbachkrankenhaus in Tempelhof, „geht jeder in eine solche Untersuchung und denkt: wird schon nichts dabei herauskommen.“ Eine ausführliche Beratung hält er daher für das A und O. Was soll bei einer bestimmten Untersuchung herausgefunden werden? Wie gehe ich mit dem Ergebnis um? „Wenn Eltern sagen, wir nehmen das Kind wie es ist, würde ich natürlich keine Fruchtwasserpunktion machen“, so Rott. Das Recht der Eltern auf Nichtwissen, wurde vor zwei Jahren im Gen-Diagnostik-Gesetz festgeschrieben. Eine Feindiagnostik empfiehlt er aber dennoch, da beispielsweise das Wissen um einen Herzfehler für die Auswahl der Entbindungsklinik ausschlaggebend sein kann.   So wie in Anas Fall. Wie viele Kinder mit Dowm-Syndrom hatte sie einen Herzfehler – ihr fehlte eine Herzklappe. Das stellte die Gynäkologin bei einer Routineuntersuchung fest und schickte Kalk in eine Spezialpraxis zur Feindiagnostik. Dort wurde dann auch das Down-Syndrom festgestellt. Den Moment, in dem sie es erfuhr, wird Kalk wohl nie vergessen. „Ich war total geschockt, meine Synapsen spielten verrückt, mir wurde eiskalt“, erzählt sie. Als sie auf dem Fahrrad nach Hause fuhr, liefen ihr die Tränen über das Gesicht, zu Hause angekommen, brach sie zusammen und „heulte wie ein Schlosshund.“ In ihrem Kopf kreiste die Frage, die ihr der Arzt als letztes gestellt hatte. „Was ist das Schlimmste an dieser Nachricht?“ „Es war ein Gefühl, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen.“   Auch wenn es zu seinem Alltag gehört, bleibt es für Peter Rott ein schrecklicher Moment, Eltern über die Behinderung ihres Kindes zu informieren. „Wir wissen ja, dass wir mit dieser Mitteilung Eltern möglicherweise dazu bringen, zu sagen: wir wollen dieses Kind nicht haben. Das ist eine große Verantwortung.“ Die Reaktionen der Eltern sind sehr unterschiedlich. „Ich erlebe Eltern, die sich sehr bewusst mit den Möglichkeiten beschäftigen und andere, die komplett überfordert sind“, so Rott. Anne Kalk und ihr Lebensgefährte Mario gehören zu ersten Kategorie. Bereits einen Tag nach der Diagnose besuchten sie, wie in solchen Fällen üblich, einen zweiten Spezialisten. Der bestätigte die Diagnose und erklärte dem Paar, was sie bedeute.   „Die Ärzte haben uns klar gesagt: das Problem bei Ana ist nicht das Down-Syndrom, sondern der Herzfehler und den kann man operieren.“ Auch eine Beratung zum Alltag mit einem Kind mit Down-Syndrom wurde dem Paar schnell vermittelt. „Wir haben uns wirklich sehr gut aufgehoben gefühlt“, sagt Kalk. „Das ist in Deutschland schon alles sehr gut geregelt.“ Durch den Verein Lebenshilfe lernte Kalk eine Familie kennen, die auch einen „Downie“ wie Kalk liebevoll sagt, haben. Zu erfahren, dass ein Kind mit Down-Syndrom nicht bedeutet, dass sie ihr Leben vollkommen ändern und ihren Beruf aufgeben müsse, hat ihr viel von der Angst genommen. So stand die Entscheidung bei den werdenden Eltern in wenigen Tagen fest: „Es ist immer noch unser Kind und wir wollen es haben.“ „Zu entscheiden, dass mein Kind stirbt“, sagt Kalk, „das ging für mich einfach nicht. Niemand wünscht doch seinem Kind etwas Schlechtes und vor allem wünscht man ihm nicht, dass es stirbt.“ Außerdem wurde ihr schnell klar, „dass das Down-Syndrom im Grunde eine Luxusbehinderung ist“ Gut erforscht, gute Betreuungs- und Förderungsmöglichkeiten.   „Menschen mit Down-Syndrom haben ja eine recht gute Lebensqualität“, sagt auch Rott und betont, dass Beratungen immer ergebnisoffen ablaufen. Es geht darum, genau zu informieren und es wird keinesfalls zu einem Abbruch geraten. Dennoch entscheiden sich über 90 Prozent der betroffenen Eltern für einen Abbruch. Ist die Schwangerschaft über die 12te Woche hinaus bedeutet das, dass eine Fehlgeburt künstlich eingeleitet oder das Kind im Mutterleib getötet und dann tot geboren werden muss. Da ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland nach der 12ten Woche eigentlich verboten ist, braucht es hierfür eine medizinische Indikation, die feststellt, dass die Lebendgeburt des Kindes eine körperliche oder seelische Schädigung der Mutter bedeuten würde. Die hohen Abbruchraten führt dazu, dass es immer weniger Menschen mit angeborenen Behinderungen gibt – und Eltern, die sich sich für ein behindertes Kind entscheiden unter starkem Rechtfertigungsdruck stehen. „So etwas“, kriegen sie zu hören, sei doch heutzutage nicht mehr nötig. In unserer Wettbewerbs- und Leistungs orientierten Gesellschaft ist die Bereitschaft, Menschen einfach so zu akzeptieren wie sie sind, nicht besonders ausgeprägt. Wo die allgemeine Verpflichtung zur Selbstoptimierung gilt, fürchten Eltern die soziale Ächtung, wenn sie ein behindertes Kind haben. „Tiefenpsychologisch betrachtet bedeutet ein behindertes Kind für die Eltern eine narzistische Kränkung“, sagt Rott. „Es bedeutet, etwas nicht perfekt hinbekommen zu haben.“ „Natürlich bleibt die Tatsache, dass man es sich anders gewünscht hätte“, sagt Anne Kalk und gelegentlich betrachtet sie wehmütig Familien mit gleichalten Babys ohne Behinderung. Dennoch ist sie glücklich mit ihrem Kind. Insbesondere jetzt, wo die Herzoperation erfolgreich überstanden ist und sich der Alltag langsam einspielt. „Ich bin immer wieder einfach froh, dass Ana lebt“, sagt sie. Und liebt sie genauso wie ihren nichtbehinderten Sohn. Sie ist sich bewusst, dass sie mit ihrem sozialen Umfeld großes Glück hat. Familie und Freunde haben die Entscheidung von Anfang an respektiert und Ana liebevoll angenommen. Der große Bruder sowieso. „Es wird grundsätzlich gesagt, dass Kinder viel entspannter mit ihren behinderten Geschwistern umgehen als Erwachsene, weil sie sich nicht ständig fragen, wie es sein sollte.“ Und obwohl sie niemals eine andere Frau verurteilen würde, die sich gegen ein behindertes Kind entscheidet, sagt sie: „Ich würde gerne ein Plädoyer dafür aussprechen, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen. Es ist nicht das Drama, das man sich vorstellt. Man kann das machen“