Gut gepolstert im Geschäft

Durch die Glasfront seines Büros blickt Markus Benz über die Dächer von Herrenberg bis hin zum Turm der katholischen St. Josefs Kirche. Benz ist Protestant und der Meinung, dass das für sein Verständnis von Design durchaus eine Rolle spielt. Seine Familie ist in der Tradition des Pietismus verwurzelt, der wichtigsten protestantischen Reformbewegung. Sie propagiert, dass man nur sich selbst und Gott verpflichtet ist. Der Mensch ist aufgefordert, eigene Wege zu gehen. Auch eine Forderung nach schlichter Klarheit ist dem Pietismus eigen. „Die barocke Welt war den Menschen zuwider“, erklärt Benz, der seine schwäbische Herkunft weder verleugnen kann noch will. „Damit fällt die Forderung der Moderne exakt mit der protestantischen Auffassung zusammen”, sagt Benz. “Das Streben nach schlichter Funktionalität ist Teil meiner Familienwerte.“
Vor allem ist es Teil der Gestaltungs-DNA von Walter Knoll. Seit 1993 leitet der 58-jährige Markus Benz das Unternehmen, das Möbel der Luxusklasse produziert und in der ganzen Welt für sein modernes Design und seine handwerkliche Fertigung geschätzt wird. Walter Knoll steht für schlichte Formen und funktionale Details, ganz im Geiste der Bauhaus-Maxime “Form follows function”. Tatsächlich waren die Knolls die ersten, die Bauhaus Möbel in Serie produzierten.
Die Unternehmensgeschichte beginnt jedoch noch viel früher: 1865 wird die Firma von Wilhelm Knoll als schnell florierende Lederhandlung gegründet, 1907 übernehmen die Söhne Wilhelm und Walter, die anfangen, auch Möbel zu bauen. Neben dem hohen handwerklichen Qualitätsanspruch geht es ihnen vor allem um technische und formale Innovation. In den 1920er Jahren engagieren sie erstmals Designer als Berater und sind auch damit ihrer Zeit voraus. Stuttgart gilt als eines der wichtigsten Zentren der Moderne, die Brüder stehen in engem Austausch mit deren Vorreitern Mies van der Rohe, Le Corbusier und Walter Gropius. Und auch nach dem Krieg spielt man vorne mit: Wie kaum ein anderer Möbelhersteller prägt das Unternehmen den Wohnstil der Wirtschaftswunderzeit mit neuen leichten Materialien und geschwungenen Silhouetten. In den 1980er-Jahren wird es wirtschaftlich schwierig für die Knolls, der vierten Generation fehlen Kraft und Vision.
Jede Menge davon besitzt Rolf Benz, ein weiterer schwäbischer Möbelunternehmer. Auch er verändert in den 1960er-Jahren mit seiner gleichnamigen Marke die Wohnwelten der Deutschen, indem er variable Sitzlandschaften erfindet, die die damals üblichen klobigen Sofa-Ungetüme ersetzen. Benz verliert aufgrund einer Krise die Anteilsmehrheit im eigenen Unternehmen und kauft 1993 das trotz großen Namens wirtschaftlich schwer angeschlagene Unternehmen Walter Knoll. Die Leitung übernimmt sein damals 32-jähriger Sohn Markus. Der sitzt heute in seinem Büro in Herrenberg und resümiert: „So wuchsen die beiden Dynastien zusammen, die Benz’sche, die aus dem Handwerk kam und die Knoll’sche, die wie keine andere für internationale Möbelgeschichte steht“. Heute ist die Familie Benz Alleineigentümer von Walter Knoll, bei Rolf Benz hat sie alle ihre Anteile verkauft.
Im Laufe des Vormittags halten immer wieder Menschen auf der Straße an und schauen durch die großen Scheiben den Polsterern bei der Arbeit zu. Die stehen im Erdgeschoss vor den vorgepolsterten Sofa-Skeletten und ziehen mit präzisen Handgriffen die Hüllen aus Leder oder Stoff darüber. Wird in anderen Unternehmen die Herstellung in undurchsichtigen Hallen versteckt, präsentiert man sie hier stolz. Nach wie vor bildet das Handwerk das Herzstück der Firma. Diese ist in einem beeindruckenden Gebäude-Ensemble untergebracht, direkt gegenüber dem Bahnhof von Herrenberg, 30 Kilometer südwestlich von Stuttgart.
Im ersten Stock riecht es nach Leder. Häute im Wert von über 1,5 Millionen Euro hängen auf den Böcken. Ein System von Sensoren und Sprinkleranlage regelt die Luftfeuchtigkeit um das Leder vor Austrocknung zu bewahren. Verwendet wird ausschließlich Bullenleder aus Süddeutschland und Österreich. An einem der Arbeitstische kontrolliert eine Mitarbeiterin mit kritischem Blick eine Lederhaut und markiert mit Kreide kleine Fehler. Anschließend wird die Haut durch Unterdruck faltenfrei auf der Unterlage fixiert. Die Schnittteile werden mit Laser darauf projiziert und von Hand wie in einem komplizierten Puzzlespiel hin- und hergeschoben, so dass möglichst wenig Verschnitt entsteht. Ein CAD-Cutter schneidet sie dann exakt aus, Handarbeit und Hightech greifen hier ineinander. Als besonders anspruchsvoll gilt das Nähen des dicken Sattelleders. In den vorgestanzten Nahtspuren muss jeder Stich sitzen, daher sollen die Näherinnen jeden Morgen zunächst mal einschätzen, ob sie sich die Arbeit an dieser Maschine heute zutrauen. Seit die Familie Benz Walter Knoll übernommen hat, hat sich die Belegschaftsgröße vervierfacht, der Umsatz verzwölffacht. Mit 330 Mitarbeitern und 85 Millionen Euro Jahresumsatz ist Walter Knoll eher ein klassisches mittelständisches Unternehmen, die Markenbekanntheit aber entspricht fast der eines Großkonzerns.
In Gestaltungsfragen setzt Markus Benz ganz auf sein Bauchgefühl. Es gibt im Unternehmen kein Design-Team, die Entwürfe stammen von externen Gestaltern wie dem Wiener Designbüro Eoos. Es gehe nicht darum, mal schnell einen Stardesigner einzukaufen, Benz setzt auf langfristige Partnerschaften: „Ich arbeite auch immer wieder mit jungen Leuten, aber erfahrungsgemäß dauert es zwei bis drei Jahre, bis wir uns verstehen“.
Ob Executive Lounge oder Edelrestaurant, ob Mercedes-Benz, Porsche, Allianzarena oder Europäische Zentralbank – überall dort, wo Qualität und Design gefragt sind, steht Walter Knoll oben auf der Liste. Der sogenannte Objektbereich ist heute das Hauptgeschäft der Firma. Dieser Teil der Firmengeschichte begann 1975 mit der Ausstattung des Berliner Flughafens Tegel in Zusammenarbeit mit dem Architekten Meinhard von Gerkan. Vor zwei Jahren zum 150-jährigen Firmenjubiläum wurde der damals entworfene „Berlin Chair“ wieder neu aufgelegt.
Damit ein Walter-Knoll-Sofa seinen Sitzkomfort erhält, kommen ganz unterschiedliche Materialqualitäten zum Einsatz. Der „Sandwichaufbau“ sorgt dafür, dass es im vorderen Bereich etwas härter ist, was das Aufstehen erleichtert, rutscht man nach hinten, sinkt man tiefer ein. Über allem liegt eine Schicht Daunen. Die hochqualifizierten Handwerker, die bei Walter Knoll im Einsatz sind, absolvieren eine dreijährige Ausbildung, weitere acht bis zehn Jahre braucht es, so ist Benz überzeugt, “bis ein Polsterer sein Handwerk meisterlich beherrscht.” Auf Polsterei und Näherei folgt als letztes die Prüfstation. Hier wird noch einmal jede Kante, jede Naht, jeder Keder kontrolliert, bevor ein Stück aus dem Hause Walter Knoll irgendwohin in der Welt geliefert wird. 65 Prozent der Produktion gehen in den Export, 30 Prozent in Länder außerhalb Europas.
Wie schafft man Möbelklassiker, die in der ganzen Welt funktionieren? Auch darüber hat Markus Benz viel nachgedacht. Geradezu philosophisch klingen viele seiner Antworten. Wenn er sie formuliert, ist er konzentriert, schließt immer wieder die Augen, legt die Fingerspitzen aufeinander: „Im Grunde funktionieren Menschen alle gleich. Das liegt wohl daran, dass wir archaische Hirnstrukturen haben, in denen das eigentliche Menschsein abgelegt ist, gewisse Werte, die man in jeder Kultur finden kann.“ Seiner Meinung nach gehören dazu die menschliche Bewunderung für Exzellenz im Handwerk, für hochwertiges Material und eine formale archetypische Klarheit. „Wenn sie hier herein kommen und sagen: ‚Das ist schön’, ‚Das fühlt sich gut an’, dann passiert das, weil sie Rezeptoren dafür haben. Das ist nicht beliebig.“ Bevor das Gespräch zu abgehoben wird, macht Markus Benz einen Witz und lacht. Es ist 12 Uhr. Pünktlich läuten die Glocken von St. Josef zum Mittag. Unten in der Produktion packen die Polsterer und die Näherinnen ihre Butterbrote aus.

Foto: Ana Santl