Der Fischer vom Kaniswall

Ein hübsches Stück Wiese am Ufer des Dämeritzsees. Die Villen auf der anderen Seite gehören schon zu Berlin, die Grenze verläuft mitten durch den See. Ein guter Platz für ein schmuckes Wochenendhäuschen mit Badesteg. Stattdessen steht hier ein alter Bauwagen, in dem Netze lagern, Anker und Arbeitskleidung. Peter Meng holt sich seine Gummihose und die Stiefel heraus. Er befestigt den Außenbordmotor an dem Aluminiumboot und packt einen Köcher und ein paar Reusenstangen ein. Ein paar kräftige Züge am Startseil, der Motor springt an und die Morgenstille über dem Wasser ist dahin. Meng steuert das Boot in den See hinaus. Der Himmel ist weit und blau, die Frühlingssonne wärmt und das Wasser ist ganz klar. „Nicht gut“, erklärt der gelernte Fischerei-Ingenieur, der sich kurz nach der Wende selbstständig gemacht hat, als die Köpenicker Fischereigenossenschaft, für die er vorher gearbeitet hat, aufgelöst wurde. Ist das Wasser ist zu klar, heißt das: keine Algen, Wasserflöhe und Hüpferlinge, also keine Nahrung für die Fische. Peter Meng ist 52, hat leuchtend blaue Augen, kurz geschorene schwarze Haare und ein markantes Grübchen im Kinn wie die raubeinigen Helden alter amerikanischer Filme. Die Großspurigkeit von Hollywoodhelden geht ihm allerdings ab. Er ist eher zurückhaltend, der Humor trocken. „Wir fischen lieber im Trüben“, sagt er.
Gut ist allerdings, dass es windstill ist, Wind ist ein Problem für Fischer. Regen und Kälte nicht. Meng fährt das ganze Jahr raus, im Winter jeden Tag, im Sommer zwei bis dreimal die Woche. Ganz allein in seinem Boot. Im Winter, wenn die Fische tief unten schwimmen, wo es wärmer ist, stellt er Stellnetze am Grund auf, im Sommer werden Reusen gespannt. Dort, wo die Strömung stark ist, in der Oder beispielsweise oder der Müggelspree, fischt Meng elektronisch. Eine Elektrode wird ins Wasser gehalten, der Stromschlag betäubt die Fische im Umkreis von drei Metern für ein paar Minuten und man kann sie mit dem Köcher herausnehmen. Klingt irgendwie fies. „Das ganze Leben ist doch fies“, sagt Meng und lacht.
Er hat die Fischereirechte in mehreren Seen und Flüssen der Umgebung gepachtet, manche Gewässer bewirtschaftet er allein, manche teilt er sich mit anderen Fischern, Koppelfischerei nennt sich das dann. Viele haben sich nach Auflösung der DDR-Genossenschaften selbstständig gemacht, … Betriebe gibt es Brandenburg. Gut davon leben, kann allerdings keiner. Zumindest nicht ohne Zusatzgeschäft. Meng hat Unternehmergeist, er betreibt ein Fischlokal und einen Hofladen, verkauft auf Märkten, bietet Räucher- und Angelkurse an und hat sogar einen mobilen Räucherofen für Veranstaltungen.
Unter der S-Bahnbrücke von Erkner hindurch geht es hinaus auf den Flakensee, vorbei an schicken Neubauten mit Glasfront. Ein intensiver Teergeruch weht über das Wasser. Immer noch, obwohl das Teerwerk bereits1992 geschlossen wurde.
Meng stoppt das Boot an einer Reihe Holzstangen, an deren Spitzen Streifen rot-weißen Absperrbands wehen wie Fähnchen. Mit einem Haken zieht er das hinterste Stück der Reuse aus dem Wasser, knotet sie auf und leert sie in einen Köcher. Im Netz zappeln silbrig glänzende Fische, zehn, vielleicht 15 Stück. Keine gute Ausbeute. Ein paar Schleien und Welse, wirft Meng gleich wieder zurück ins Wasser, weil sie zu klein sind. Um den Bestand zu sichern, muss die Fischbeute einer Mindestgröße entsprechen und Schonzeiten eingehalten werden. Ein Zander wandert in den Wassertank in der Mitte des Bootes und ein paar kleine schwarze Krebse. Die gehören hier eigentlich gar nicht her, es sind amerikanische Flusskrebse. Vor gut 100 Jahren wurden sie in Brandenburger Gewässern ausgesetzt und haben die heimischen Rassen mittlerweile verdrängt. Immerhin scheint das Netz intakt, Netznadel und Garn, die Meng an Bord hat, kommen nicht zum Einsatz. Immer öfter werden Netze aufgeschnitten, um Fische zu stehlen. Manchmal auch, um sie zu befreien. „Falsch verstandener Idealismus“, sagt der Fischer und schüttelt den Kopf.
Auch die zweite Reuse gibt nicht viel her. „Da schauen mehr Augen ins Netz rein, als raus, wie wir sagen“, sagt Meng. „Kann am Vollmond liegen.“ Immerhin ein Spitzkopfaal. Aale sind ein begehrter Fang.
Dass er überhaupt noch Aale fischen kann, liegt daran, dass Peter Meng sie selbst ins Wasser hinein gesetzt hat. Tausende Jungaale verteilt er regelmäßig. Obwohl Aale eigentlich in Brandenburger Gewässern heimisch sind, würden sie aus eigener Kraft hier nicht mehr ankommen. Schlüpfen tun sie nämlich – wundersame Schikane von Mutter Natur – im Atlantik, in der Sargassosee in der Nähe der Bahamas. Drei Jahre schwimmen die würmchenkleinen durchsichtigen Wesen dann bis an die südeuropäischen Küsten und von dort flussaufwärts in die Binnengewässer im Landesinneren. Weil die Flüsse aber inzwischen so verbaut sind, schaffen sie diesen letzten Teil der Reise oft nicht mehr. Größtes Hindernis für die kleinen Fische sind Wasserkraftwerke. „Das ist angeblich öko, gefährdet aber das Ökosystem in den Flüssen“, sagt Meng. Auch Hechte bringt er aus. Die Raubfische laichen nämlich bevorzugt auf überschwemmte Wiesen, die sie durch die Regulation der Flüsse kaum noch finden.
Kaum hat sich das Boot ein paar Meter von der Reuse entfernt, kommen zwei Fischreiher und stürzen sich auf die ins Wasser zurückgeworfene Beute. Dass die Kormoran-Population in den letzten Jahren so zugenommen hat, kostet die Fischer immer größere Teile des Fangs. „Die jagen in Rudeln, wie die Wölfe“, sagt Meng.
Der Himmel über dem See ist wolkenlos, auf der Ufermauer sitzen zwei Mädchen und baumeln mit den nackten Beinen. Ruhig gleitet das Boot über das Wasser.
„Es kommen immer wieder junge Leute zu mir“ erzählt Meng, „die sehen mich über den See fahren und denken, Fischer ist ein Traumberuf.“ Aber ist ein harter Job. Es gehört mehr dazu, als in der Frühlingssonne über das Wasser zu schippern. Seine beiden Söhne denken jedenfalls nicht daran, in seine Fußstapfen zu treten. „Zum Skifahren nach Österreich kommen die gerne mit, aber nicht hier raus.“ Auf die Frage, wie viel er verdient, sagt er: „Wenn man beschäftigt ist, braucht man nicht so viel. Und ein Fisch zum Essen bleibt auch immer übrig.“ Er zeigt auf einen Reiher, der am Ufer steht, starr wie eine Statue. Dann fügt er hinzu: „Man muss schon Idealist sein.“
Verarbeitet wird der Fang in Mengs Betrieb außerhalb von Neu-Zittau. Idyllisch inmitten blühender Wiesen gelegen ist einzige Gewässer weit und breit der kleine Tümpel vor dem Haus, an dem gelbe Sumpfschwertlilien wachsen und ein Biberpaar seinen Damm gebaut hat. Im Winter werden hier Karpfen, Hechte und Welse gehalten. Wenn es kalt ist, sinkt die Körpertemperatur der Fische und der Stoffwechsel kommt fast völlig zum Erliegen, daher kommen die Tiere wochenlang ohne Nahrung aus.
Im Haus gibt es eine Kühlkammer, ein Büro und die kleine Gaststube mit Eisenofen und alten Email-Schildern an den Wänden. Hier veranstaltet Meng an acht Wochenenden im Jahr Themenfischessen, für die Gäste schon lange vorher reservieren. Auch private Feiern werden ausgerichtet. In einem der vier Räucheröfen hängen Aale im Erlenrauch. Die Vitrine des Hofladens ist gut bestückt. Nicht nur mit eigenem Fang. Dorade, Scholle oder Lachs werden zugekauft. Der Laden ist von Montag bis Samstag geöffnet, die Kunden nehmen den Weg in Kauf. Einige hat Meng sogar in einer Kundenkartei erfasst und ruft sie an, wenn er etwas Besonderes gefangen hat.
12.000 Kilo Fisch holt Meng pro Jahr aus dem Wasser, nur 2.000 Kilo davon Speisefische wie Aale, Hechte, Plötzen, Karpfen, Welse oder Zander. Der Großteil der Beute sind aber so genannte Massefische wie Güster oder Blei, die wegen der vielen Gräten eher zu Fischmehl verarbeitet oder an Zootiere verfüttert werden, als auf dem Teller zu landen.
Meng arbeitet nicht nur hier inmitten der Gosener Wiesen, er hat sich an den Betrieb auch eine Wohnung angebaut. Das genehmigt zu bekommen, hat ihn einige Überzeugungsarbeit gekostet, ist Wohnbebauung hier draußen doch eigentlich verboten. Aber Meng blieb hartnäckig. Schließlich wird schon bei Theodor Fontane ein Fischer erwähnt, der genau hier gewohnt hat. „Ich setze eine Tradition fort. Das war ein gutes Argument.“ „Das Häuschen, das er bewohnte“, heißt es bei Fontane vom Fischer Kahnis, „war des sumpfigen Untergrundes halber von ihm selber auf einem eigens hergerichteten Damm oder Wall aufgeführt worden“.
„Hier störe ich niemanden und niemand stört mich“, sagt Meng. Im hohen Gras vor dem Haus steht ein hölzerner Liegestuhl, am Kirschbaum lehnt ein Boot. Zwischen zwei Bäumen ist eine Wäscheleine gespannt. Daran baumeln hübsch aufgereiht Socken, T-Shirts und Hosen. Alle sind blau.

Fischerei Löcknitz, Alter Fischerweg 1, 15537 Neu-Zittau, Hofladen: Mo-Fr 9-16 Uhr, Sa 9-12 Uhr,www.fischerei-löcknitz.de