Wollige Wärme aus dem Norden

Ein laubgrünes Rechteck. Daneben ein größeres, blau wie das Meer am späten Nachmittag. Dazwischen eine Fläche, in der die beiden Farben zu einem Zickzackmuster verwoben sind. Darüber ein hellgraues Rechteck, ein giftgrünes, ein eisblaues.

Die Decke „Mikkel“ sieht aus wie eine Landschaft aus der Vogelperspektive. Ausgebreitet über die Sofalehne ist sie ein abstraktes Gemälde, ein besonderer Akzent im Raum.

Die Decke ist weich, aber nicht so weich, dass man sie nicht spürt. Legt man sie sich um die Schultern, fühlt man den sanften Druck ihres Gewichts wie eine beruhigende Umarmung. Sie spendet Wärme an kalten Wintertagen und Trost, wenn man sich nach den Farben des Sommers sehnt.
Die Decke Mikkel ist ein Produkt aus der Kollektion von Røros Tweed, einem norwegischen Traditionsunternehmen, beheimatet in dem kleinen Ort Røros in der Region Trøndelag mitten in Norwegen. In über 25 Ländern weltweit sind die Decken, Sitzkissen und Kissenbezüge erhältlich, überall dort, wo nordisches Design und Qualität gefragt sind.

„Wir sind die letzten unserer Art“, sagt Øystein Digernes. „Norwegen hat eine lange Tradition der Textilverarbeitung und es gab früher viele Unternehmen. Heute sind nur noch wir übrig. Daher sehen wir es als unsere Aufgabe an, das Know-How und die Tradition zu bewahren.“ Der 36-jährige mit Drei-Tage-Bart und Wollpullover führt das Unternehmen in dritter Generation zusammen mit seinem Vater Arnstein.
Die Firma, die den Begriff „Tweed“ im Namen trägt, obwohl sie schon lange keinen Tweed mehr fertigt, sondern leichtere, weichere Wollgewebe, hat eine lange Tradition.
Die beginnt im 18.Jahrhundert mit dem Testament von Peder Hiort, Direktor der lokalen Kupfermiene. Er starb kinderlos und bestimmte, dass sein Vermögen den Armen zugutekommen sollte. Er legte fest, dass von seinem Geld Wolle gekauft und an die Bewohner von Røros verteilt wurde. Diese fertigten daraus Textilien, die ihnen abgekauft und anschließend wieder an Bedürftige verteilt wurden. Die Hiort-Stiftung gilt bis heute als ausgesprochen intelligentente soziale Idee.
„Die Anfänge unserer Firma liegen in der Zeit, bevor mit dem Öl das Geld nach Norwegen floss“, sagt Øystein Digernes. „Die Menschen in hier waren bitterarm“.
Man braucht in Røros nicht viel Phantasie, um sich in die Vergangenheit zurückzuversetzen. Im Museum ist die alte Kuperschmelzhütte zu besichtigen, Abraumhalden sind noch da und auch die Arbeiterhäuser stehen da wie früher. Windschiefe kleine Häuschen aus vom Wetter dunkel gefärbten Holzbalken mit Sprossenfenstern in roten Fensterstöcken. Auf einigen Dächern wächst Gras. 333 Jahre lang prägte der Bergbau den Ort, bis die letzte Mine 1977 geschlossen wurde.
Die gut erhaltenen Holzhäuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert, mit teils dunklen, teils bunten Fassaden, sind der Grund, dass die 5000-Einwohner-Stadt 1980 zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt wurden. Touristen bummeln durch die kleinen Straßen und besuchen die berühmte Kirche Bergstadens Ziir – auch sie vom wohltätigen Peder Hiort gestiftet.Insbesondere in den Wintermonaten, wenn Pferdeschlitten durch den tiefen Schnee gleiten und in den Fenstern Kerzen stehen, verströmt die Stadt Märchenbuchflair.
Dann wird es richtig kalt. „Røros ist einer der kältesten Orte Norwegens“, erklärt Digernes. „Es ist also kein Wunder, dass gerade hier Wollkleidung hergestellt wurde.“
Wolle spielt allerdings in ganz Norwegen eine große Rolle. Schafzucht und Wollverarbeitung reichen bis in die Wickingerzeit zurück. Es wird geschätzt, dass die ersten Schafe vor mehr als 6.000 Jahren nach Norwegen kamen. Sie leben frei in der Natur, haben viel Platz und viel Gras, die Klimaverhältnisse sorgen dafür, dass ihre Wolle frei von Parasiten bleibt und außerdem sehr widerstandsfähig und elastisch ist.
Diese Elastizität sorgt für die besondere Qualität der Røros-Produkte. Decken oder Sitzkissen „plustern“ sich nach Gebrauch wieder auf und bleiben flauschig.
Bereits Øystein Digernes Großvater Erling war Spezialist für das „weiße Gold“. Er gründete in Rauma, 300 Kilometer westlich von Røros eine Spinnerei. Trotz Bombardierung im zweiten Weltkrieg florierte das Unternehmen Rauma Ullvarefabrikk, in den 1960er-Jahren unter der Führung von Øysteins Vater Arnstein, Textilingenieur und Wollexperte.
Zur gleichen Zeit schlug sich Røros Tweed, hervorgegangen aus Peder Hiorts Stiftung, nur mühsam durch. „Als sie kurz vor dem Konkurs standen, fragten sie meinen Vater, ob er nicht übernehmen wollte“, erzählt Øystein Digernes. Dieser wollte und führte die Firma zum Erfolg. Das Garn wird nach wie vor in Rauma gesponnen, gewebt wird in Røros.
Inzwischen ist der Webprozess großenteils digitalisiert. „Das handwerkliche Feingefühl braucht es aber nach wie vor“, sagt Øystein Digernes. „Deshalb haben wir Ausbildungsprogramme für unsere Mitarbeitenden entwickelt. Das zahlt sich aus, wir haben tolle Leute, die einen tollen Job machen.“
Neben der handwerklichen Qualität ist es vor allem das Design, das Røros Tweed einzigartig macht. Seit vielen Jahren dabei ist Allround-Talent Kristine Five Melvaer, mit ihren an Bauhausdesign erinnernden geometrischen Designs wie der Mikkel-Serie, da ist das Designer-Duo Anderssen & Voll, die mit ihrer Expertise nicht für Design, sondern auch für Webprozesse wichtiger Partner sind. Die Entwürfe reichen von klassisch bis verspielt. Es gibt sogar eine Decke mit Schäfchen – eine Hommage an das Tier, ohne das es das Unternehmen nicht geben würde.
„Das Adjektiv, das unser Design am besten beschreibt, ist zeitlos“, sagt Digernes. „Es geht uns immer darum, unserem Erbe treu zu bleiben und es zeitgenössisch zu interpretieren.“
Ein nachhaltiger Ansatz, der viele Familienunternehmen prägt. So stand es für Øystein von klein an fest, dass er in die Fußstapfen seines Vaters treten wollte. „Ich habe meinen Vater immer bewundert, ihm zuzuschauen war der wichtigste Teil meiner Ausbildung. Die Firma war immer eine Art Erweiterung unseres Hauses, irgendwie war ich ständig dort.“
Common sense und harte Arbeit hat er von seinem Vater gelernt. „Selbst heute noch mit 80 Jahren ist er derjenige, der am meisten arbeitet“, so Digernes.
Auch eine gewisse Sparsamkeit und Wertschätzung für die Rohstoffe haben ihn geprägt. „Es kommen immer wieder Leute und fragen, ob sie unsere Abfälle haben können. Aber wir haben keine, bei uns wird nichts weggeworfen. Das haben wir einfach immer so gemacht, aber heute ist es sehr relevant geworden.“

http://www.rorostweed.no