Eins- setzen

Kann man von einem hölzernen Stuhl sagen, dass er sich wohlig an den Körper anschmiegt? Es mag nicht nach einer naheliegenden Beschreibung klingen, aber genauso fühlt sich das Probesitzen auf dem EINSER an. Dank einer leichten Mulde drückt die Sitzfläche – auch ohne Kissenauflage – nicht hart gegen die Sitzbeinhöcker. Die geschwungene Lehne liegt angenehm unter den Schulterblättern an und bietet dem Rücken Halt, ohne die Beweglichkeit einzuschränken. Eine bequeme Position findet sich wie von selbst – ohne unruhiges Herumrutschen.

Der schlichte Holzstuhl ist der neueste Zugang in der Kollektion der Magazin-Produkte. Aber: Gibt es nicht schon unendlich viele Stuhlmodelle auf dem Markt? Kann man da tatsächlich noch etwas Neues erfinden? „Es ist natürlich ein Feld, auf dem es bereits viel gibt“, sagt Daniel Kern. „Aber einen Stuhl will man in einer eigenen Kollektion definitiv haben. Er ist ein charismatisches Möbelstück und hat einen höheren Wiedererkennungswert als beispielsweise ein Regal“, so der Designer und Leiter der Magazin-Produktentwicklung weiter. Als Signature Pieces einer Möbelkollektion und Grundausstattung jeder Wohnung sind Stühle – menschheitsgeschichtlich betrachtet – dabei eine eher jüngere Errungenschaft. Unsere Vorfahren saßen auf Steinen oder Fellen. Die ersten vierbeinigen, mit Lehnen versehenen Sitzgelegenheiten waren Kaisern und Königen vorbehalten. Bis ins 19. Jahrhundert hinein blieben Stühle Ausdruck von Wohlstand und Macht, sie wurden handwerklich gefertigt. Erst mit dem Wiener Kaffeehausstuhl von Michael Thonet Mitte des 19. Jahrhunderts begann die industrielle Massenproduktion von Stühle, die Preise wurden erschwinglich.

Daniel Kern empfängt im Designbüro von Magazin in Berlin, umgeben von Prototypen der hauseigenen Kollektion. Da ist die Truhe CMB, auf der man auch sitzen kann, das Tischgestell Zehdenicker, der Schrank P100 und viele bunte DS-Container. Stapel von Zeichnungen deuten darauf hin, dass hier eifrig getüftelt wird. An einem Haken hängt ein Stoffbeutel mit der Aufschrift „Better done than perfect“. Der Spruch führt allerdings ein wenig in die Irre – geht es dem Magazin-Designteam doch durchaus um Perfektion. Nur eben weniger im Sinne von ästhetischen Höhenflügen oder Selbstverwirklichung von Designeregos. „Das Wichtigste für uns ist die Produktion in Europa, Nachhaltigkeit, kostengünstige Herstellung durch gut durchdachte Konstruktion“, sagt Kern. Daraus ergab sich die Frage: „Wie stark kann ein Stuhl vereinfacht werden, ohne beliebig zu werden?“ So war es naheliegend, dass Kern zu Beginn des Designprozesses erst einmal bei Lask in Borovnica vorbeischaute. Bei der Recherche nach Fertigungsstätten für das schon länger geplante Stuhlprojekt war Magazin auf den 30 Kilometer von der slowenischen Hauptstadt Ljubljana entfernten Betrieb gestoßen. Das Unternehmen verfügt über das nötige Knowhow – und ist nicht so groß, dass man an der eher kleinen Startauflage des Einser-Stuhls kein Interesse hätte.

„Slowenien“, erklärt Kern, „war früher sehr groß im Holzmöbelbau, mit enormen Exporten, aber viele Betrieben sind Konkurs gegangen“.  Das relativ junge Unternehmen Lask konnte aus den Traditionsbetrieben geschultes Fachpersonal und Maschinen übernehmen. Zum Beispiel einen speziell für die Fertigung von sogenannten Spindelstühlen entwickelten Bohrautomaten, den Kern besonders spannend fand. „In der Werkhalle stand so ein grünes Ungetüm mit ganz vielen Bohrern drin, die teilweise in ganz merkwürdigen Winkeln justiert waren.“ So entstand die Idee der halbrunden Bohrungen an der Sitzfläche des Einsers, in die klassische Rundhölzer als Stuhlbeine eingeschraubt werden. „Das ist sowohl ein schönes Detail als auch eine extrem stabile Passung“, erklärt Kern. Gerade Holzstücke  schonen im Gegensatz zu geschwungenen außerdem Ressourcen, da sie nicht aus einem größeren Stück Holz herausgeschnitten werdenmüssen.

Für ausgewogene Proportionen sorgt der abgerundete Ausschnitt unterhalb der Rückenlehne. Wenn Kern den Stuhl anhebt, um auf dieses Detail hinzuweisen, dabei sanft mit der Hand über das glatte Holz streicht, wirkt er auf seine zurückhaltende Weise stolz. Wie ein Geigenbauer, der ein besonderes Instrument in Händen hält. Die Rückenlehne ist durch zwei farbig abgesetzte Metallbügel mit den Hinterbeinen verbunden, was der Lehne eine schwebende Leichtigkeit verleiht – und dem schlichten Stuhl ein charakteristisches Detail. „Diese Verbindung macht den Stuhl komfortabler, und wir können hier mit unseren starken Farben einen Akzent setzen“, so Kern. Bis auf die Leimverbindung von Zarge und Sitzfläche sind alle Teile des Stuhls mit Schrauben verbunden, die deutlich sichtbar sind. Diese einfache Konstruktion macht es möglich, dass man den Stuhl nicht nur fertig montiert kaufen kann, sondern in der unbehandelten Variante auch in flach verpackten Einzelteilen zur Selbstmontage. Das freut den Designer besonders. Flatpack spart viel Volumen beim Transport, und das unbehandelte Holz kann problemlos recycelt werden.
Bei Magazin ist man also rundum zufrieden – das spiegelt der Name des Neuzugangs wieder:
„Wir waren glücklich, dass wir dieses ambitionierte Projekt gemeistert haben, unsere Kriterien eingehalten haben – und darüber hinaus einen marktfähigen Verkaufspreis erzielen konnten,“ erklärt Daniel Kern. „Deshalb steht der Name EINSER für unseren ersten (Holz)Stuhl und ist auch ein bisschen die augenzwinkernde Schulnote, die wir uns dafür selbst gegeben haben.“