In sozialen Netzwerken sehen wir vermehrt Bilder von Körpern, die nicht dem allgemeinen Schönheitsideal entsprechen. Wir sehen Krähenfüße, Speckrollen, hängende Brüste und Dehnungsstreifen. Das ist gut. Wir können in Zeiten des Optimierungswahns nicht oft genug daran erinnert werden, wie die meisten Frauen nun einmal aussehen – und gelegentlich erleichtert durchatmen. Was mich allerdings irritiert, sind die trotzigen Behauptungen, die unter diesen Bildern stehen. Jede Frau, egal wie sie aussieht – sooo beautiful!
Ich habe es versucht, aber ich kann das so nicht sehen. Ich komme mir dabei vor wie im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“, wo keiner, der den nackten Kaiser sieht, zugeben darf, was er sieht, sondern eifrig versichert, wie schön seine Kleider sind. In meinen Augen ist Schönheit ein extrem seltenes Phänomen, von ungerechten Göttern ziemlich wahllos verteilt. Die fiesesten Menschen sind manchmal wunderschön, während die liebenswürdigsten es nicht sind. Und – auch das ist ziemlich ungerecht – besonders schön anzuschauen sind eben doch junge Menschen. Warum müssen wir das leugnen? Schließlich ist Schönheit nichts, was uns zusteht und auch kein Verdienst.
Und aus der Perspektive der Glücksforschung ist eine deutliche Warnung angebracht: Etwas hinterher zu jagen, das wahllos verteilt und außerdem flüchtig ist, macht definitiv unglücklich.
Vielleicht liegt hier ja auch nur ein Missverständnis vor. Vielleicht möchten Frauen, die einander attestieren, wie schön sie sind, einander eigentlich sagen, dass sie gut sind, so wie sie sind. Wertvoll, liebenswert. Das sollte dann aber, finde ich, auch genau so gesagt werden. Denn sonst laufen wir Gefahr, unter umgekehrten Vorzeichen doch wieder dem Götzen zu huldigen, in dessen Namen Frauen seit Generationen unter Druck gesetzt werden – und sich selbst unter Druck zu setzen. Dass die geltenden Standards von Frauen erfunden wurden – auch wenn wir sie bereitwillig verinnerlicht haben – darf bezweifelt werden. Um sich davon zu überzeugen, genügt ein Gang durch jede beliebige Gemäldegalerie.
Warum nehmen wir Schönheit überhaupt so wichtig? Warum muss der Bauch einer Frau, die vier Kinder geboren hat, schön sein? Was ist das überhaupt für ein Maßstab?
Reicht es nicht, dass er neue Menschen hervorgebracht hat?
Ich denke an meine Großmutter, Jahrgang 1907. Es war ihr Traum, Ärztin zu werden. Da ihre Eltern es unnötig fanden, dass eine Frau studiert, verdiente sie sich das Geld für ihr Medizinstudium selbst. Meine Großmutter war weder besonders hässlich noch besonders schön. Es war ihr nicht egal, wie sie aussah, regelmäßig ließ sie sich schöne Kleider fertigen. Aber es war auch nichts, womit sie sich sonderlich viel beschäftigt hätte. Und wenn sie Vorbilder hatte, dann wohl eher jemanden wie die Ärztin Gabriele Possaner, die nach langem Kampf als erste Frau an einer Universität Österreich-Ungarns promovieren durfte. Als ich als Teenager begann, eine gewisse Obsession für mein Äußeres zu entwickeln, schüttelte sie verwundert den Kopf. Sie fand es viel interessanter, sich mit mir über Literatur zu unterhalten oder über wissenschaftliche Forschung.
Vielleicht waren wir Frauen ja schon mal weiter. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass es sich bei unserer ganzen Schönheitsbesessenheit um eine Art Geheimwaffe des Patriarchats handelt, wie Naomi Wolff schon 1990 in ihrem Buch „Mythos Schönheit“ vermutet hat. All die Zeit, alle Energie und alles Nachdenken, das Frauen auf die Beschäftigung mit ihrem Äußeren verwenden, so Wolffs These, fehlt ihnen, um Männern Konkurrenz zu machen.
Wie wäre es also, wenn wir, statt uns zu bemühen, Falten und Fett schön zu finden, uns bemühen würden, sie einfach nicht so wichtig zu nehmen? Weil sie nämlich für das, was wirklich zählt, für Klugheit, Charisma und Stil, für Güte und Humor, für Persönlichkeit und Lebensleistung – und selbst für die große Liebe – einfach keine große Rolle spielen.