Landarbeit mit Laptop

Terezas
In die Holzhütte passt ein Doppelbett und ein Nachttisch, mehr nicht. Eine große Tür öffnet sich in den Garten, über die Schwelle wächst der Giersch herein. Ungewöhnlich warm scheint die Oktobersonne durch die Blätter der Götterbäume und gelbe Falter umflattern die Blüten des Schmetterlingsstrauches. „Gituza“ steht über der Tür. „So heißt der Ort, in dem ich aufgewachsen bin“, erklärt Tereza Bodemann. In Ruanda war das, weit weg von Endmoränen und Oderdeich, wo sie heute lebt. Der Liebe wegen. 2007 lernte sie, zu Besuch bei ihrer Tochter in Berlin, Jörg Bodemann kennen und zog schließlich zu ihm in die Uckermark. 

in Brandenburg, Sept 2021

Drinnen im Haupthaus ist ein großer Arbeitsraum mit langem Tisch. Hier stehen mehrere geöffnete Laptops, dazwischen Notizbücher, lose Blätter, Stifte. Vor der gelb gestrichenen Wand ein Flipchart. Das Team der Filmwissenschaftlerin Lea Wohl von Haselberg von der Universität Babelsberg, das hier zum Arbeiten zusammengekommen ist, hat allerdings gerade Mittagspause. Was hier bedeutet: selber kochen. Drei Leute stehen in der Küche und schnipseln Kürbis für die Suppe.
„Das Team war neu und wir kannten uns kaum, als alle ins Homeoffice geschickt wurden“, sagt Wohl von Haselberg. „Wir hatten bisher gar keine Chance, zusammenzuwachsen“, sagt Wohl von Haselberg. „So ein intensives Gemeinschaftserlebnis war daher echt fällig.“ „Es gefällt uns gut hier“, sagt die Chefin, „einfache Ausstattung, aber sehr schön. Und Tereza ist eine wirklich besondere Person, sie füllt den Ort.“ Die vielen Möglichkeiten der Umgebung haben sie bisher wenig genutzt, sondern es vor allem ausgekostet, endlich ungestört die Köpfe zusammenstecken zu können, ohne dass irgendjemand einen anderen Termin hat oder die Kinder aus der Kita holen muss.
Jörg Bodemann war hier so etwas wie ein Pionier. Er hatte sich vorgenommen, die Ruinen des alten Gutes in der Uckermark in einen Ort zum Leben und Arbeiten verwandeln. „Als ich das Konzept 2002 entwickelt habe, wurde ich eher belächelt“, so Bodemann. Die Freunde kamen höchstens mal an einem warmen Sommertag vorbei und verabschiedeten sich dann wieder in die Stadt. „Ich dagegen habe von Anfang an gedacht: Hier einen Ort zum gemeinsamen Leben und Arbeiten zu schaffen – das ist es doch!“ Er war seiner Zeit wohl ein wenig voraus. In den letzten Jahren ist das Interesse am Coworking auf dem Land rasant gewachsen, die Pandemie hat den Trend noch einmal verstärkt. Wenn es auf einmal nicht nur vorstellbar, sondern sogar geboten ist, die Büros in der Innenstadt zu meiden, sitzt man doch lieber im Grünen als in der engen Wohnung. Vielleicht hat der Ort aber auch Tereza gebraucht, um so richtig aufzublühen. „Ich habe die Räume gebaut, du füllst sie mit Seele“, sagt Jörg zu seiner Frau und lächelt sie an. Und selbst wer Tereza erst eine halbe Stunde kennt, glaubt das sofort. In ihrer fröhlichen Herzlichkeit und dem echten Interesse für die Besucherinnen ist sie die perfekte Gastgeberin. „Ich liebe es, wenn die Leute hierherkommen“, sagt sie. „Es ist schön hier, aber ich mag es nicht, alleine zu sein.“ Und so haben die Bodemanns einen idealen Ort für das Arbeiten auf dem Land geschaffen. Vier Schlafzimmer im Haus, dazu drei Holzhäuschen im großen Garten. Gemeinschaftsräume, eine große Küche, mehrere Verandas. Im Sommer findet das Leben draußen statt. Es gibt eine Außendusche, eine Sommerküche und eine Komposttoilette. Im Winter sorgen die Holzöfen für Behaglichkeit. Alle Möbel hat Jörg, der auch Möbeldesigner ist, entworfen und gebaut, Kissen aus afrikanischen Stoffen sorgen für farbenfrohe Akzente.
Genutzt wird der Ort zumeist von Gruppen, die gemeinsam intensiv an einem Projekt arbeiten wollen.
Natürlich steht und fällt das Arbeiten auf dem Land mit dem Internet, das in Brandenburg immer noch manchmal unzuverlässig sein kann. „Das ist ein bisschen peinlich“, räumt Tereza ein. Besonders Freunde und Familie aus Ruanda können gar nicht verstehen, dass so etwas in Deutschland möglich ist.
Inzwischen kommen immer mehr Leute vorbei, die hier draußen etwas mieten oder kaufen wollen. „Eher ein Problem“ findet Jörg. Die Häuser der Städter stehen die meiste Zeit leer, Regionalentwicklung findet nicht statt. Stattdessen sollte es seiner Meinung nach mehr Gemeinschaftsprojekte geben. „Meine Mission ist es, ein anderes Bild von Leben und Arbeiten auf dem Land zu schaffen. Zu zeigen, dass es aufregend ist, wenn Platz zum Gestalten und Entwickeln da ist, ein neuer Kultur- und Wirtschaftsraum entsteht, an dem auch die Menschen hier aus der Gegend teilhaben. So dass einige, die weggezogen sind, zurückkommen oder gar nicht mehr wegziehen.“ Terezas ist Teil eines solchen neuen Kultur- und Wirtschaftsraumes. Mit dem Ponderosa Kunst- und Tanzzentrum, dem Seminarhaus Taubenblau, einer Holzwerkstatt und einem Musikstudio hat der Ort an der Oder noch mehr davon zu bieten. 

http://www.terezas.de

Coconat
Wer mehr Platz braucht, etwas mehr Komfort sucht und nicht selbst kochen möchte, ist bei Coconat in Bad Belzig gut aufgehoben – vorausgesetzt, man reserviert rechtzeitig. Das „Coconat Workation Retreat“, eine Kombination aus Rückzugsort in der Natur und Coworking Space, ist nämlich ausgesprochen beliebt.
Das Projekt begann mit dem Wunsch der sechs Gründer:innen nach einem Arbeits- und Lebensort, der zwar ruhig und im Grünen sein sollte, aber möglichst bevölkert von inspirierender Gesellschaft. Schließlich fanden sie den alten Gutshof, der eine Weile leer gestanden hatte. „Der Ort hat sich uns ausgesucht“, sagt Iris Wolfer aus dem Gründungesteam.
Im großen Gemeinschaftraum sitzen mehrere Menschen mit Laptops, mache kommen für länger, andere, die in der Gegend wohnen, nur für ein paar Stunden. Auch in den Zimmern gibt es Arbeitsplätze mit Blick in den Garten, die Internetverbindung ist hier überall gut. Wer Ruhe braucht, kann auch Einzelarbeitsräume buchen. Für Gruppen stehen mehrere Seminarräume zu Verfügung. Zum Mittagessen trifft man sich dann in der Kantine, hier wird das – vegetarische – Essen serviert. Seit neuestem gibt es auch die Pizzeria Cocolores im Hof. Die ist auch bei den Bad Belzigern beliebt. Es ist den Coconat-Betreibern sehr wichtig, kein Ufo zu sein, sondern aktiv in der Gemeinde mitzuwirken. Nicht nur Großstädter kommen zum Arbeiten, sondern auch diverse lokale Vereine und Initiativen. „Es geht uns auch um Gemeinwohl-Orientierung und die Entwicklung des ländlichen Raums“, so Wolfer. Und das Projekt entwickelt sich ständig weiter. Seit Kurzem steht ein alter S-Bahnwagen auf dem Grundstück, der einen Mobilitätscampus beherbergt, in dem Ideen zum Thema Landleben und Mobilität erforscht werden und mit „Cocolet“ ist gerade ein Makerspace im Aufbau mit 3D-Drucker und Holzwerkstatt, so dass nicht nur Geistesarbeiter auf ihre Kosten kommen. 

http://www.coconat-space.com

Das blaue Pferd
Wer gerne handwerklich arbeitet, kann das auch auf dem denkmalgeschützten Vierseithof in Zehdenick tun, den die Künstlerin Elisophie Eulenburg bewohnt. Um den Hof behutsam zu renovieren, lädt sie regelmäßig zu gemeinschaftlichen Arbeitswochen. Zu tun gibt es in Scheune, Ställen und Haupthaus genug, auch für Menschen ohne besondere handwerkliche Fähigkeiten. Eines der nächsten Projekte soll der Ausbau von Räumen im Dachgeschoss des Nebengebäudes sein. Der Lohn ist die Gemeinschaft und das Lagerfeuer im Hof, der etwas von einem kleinen Dorfplatz hat. Die große Scheune bietet Platz für Feste und Kulturveranstaltungen aller Art. Auch wer an einen künstlerischen Projekt arbeitet, ist auf dem Hof willkommen, der nach dem kleinen Fundstück benannt ist, das bei der Renovierung zu Tage kam: einem Keramikpferd aus dem 15. Jahrhundert. Aktuell ist bis auf Eulenburg niemand hier. Es gibt hier keine größeren Arbeitsräume, die Künstler:innen, die für längere kommen, nutzen Zimmer und Hof. Sie arbeiten währenddessen nicht nur an eigenen Projekten, sondern geben auch Workshops für die Zehdenicker an, damit die auch etwas von den komischen Stadtmenschen haben.

in Brandenburg, Sept 2021

http://www.das-blaue-pferd.de

 




 

 

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