Die Visionärin

Manchmal brandet Jubel auf, wenn Diane Pernet irgendwo aus dem Flugzeug steigt. Das liegt dann daran, dass sie einmal wieder mit der spanischen Sängerin Martirio verwechselt wird. Das lange schwarze Kleid, die dunkle Sonnenbrille, die hochgetürmten Haare unter dem schwarzen Schleier – was für die Sängerin ein Bühnenoutfit ist, ist für Pernet Alltagslook, Persona, in die sie jeden morgen schlüpft. Ein bisschen Jubel stünde ihr aber durchaus zu, ist sie doch seit Jahrzehnten als Impulsgeberin, Talentscout, Beraterin und vor allem Förderin und Mutmacherin von kreativen Talenten unterwegs. Gedankt wird ihr das, obwohl sie in der Modeszene jeder kennt und sie immer überall dabei ist, eher selten. Und bezahlt noch seltener – unter ihren vielen Talenten, ist das zum Geldverdienen eher gering ausgeprägt.

Merkwürdiger Gegensatz zu den vielen Instagram-„Stars“, die außer Selbstvermarktung offenbar
wenig drauf haben. Auf Instagram funktioniert Pernet nicht so gut, da es ihr nicht darum geht, sich selbst zu inszenieren, sondern darum, über Dinge zu erzählen, die sie spannend findet. Verbittert ist sie darüber nicht. „Ich liebe Kreativität!“ sagt sie und „Ich bin immer noch neugierig auf Neues.“
Neugierig und kreativ ist sie schon ihr Leben lang. Nachdem sie Film studiert und eine Weile als Fotografin gearbeitet hatte, begann die gebürtige Amerikanerin, die seit 30 Jahre in Paris lebt, ein Modedesignstudium. Schon nach ein paar Monaten hatte sie keine Lust mehr auf Theorie und gründete Ende der 70er Jahre ihr eigenes Label – „ohne jede Ahnung“ wie sie sagt. Aber mit gutem Gespür. Ihre eleganten und fast ein wenig strengen Entwürfe bildeten einen gewissen Gegensatz zum New Yorker Disco-Glamour, der sie umgab.
Aus ihrer Zeit als Designerin stammt ihr ikonischer Look, dem sie seit Jahrzehnten treu bleibt. Wechselnde Outfits, Farben und Prints kollidierten mit ihrem kreativen Flow, wie sie feststellte. Und so entschied sie sich – wie übrigens viele Designer – für eine Art Uniform. Ihre besteht aus langen schwarzen Kleidern, Plateauschuhen und hohen Frisuren, die sie mit Schleiern und Spinnenbroschen krönt. Damit wirkt die 1,57 kleine Frau auch größer als sie ist, was ihr gefällt.

Anfang der 1990er zog sie nach Paris, weil sie die Heruntergekommenheit, Drogen und Gewalt in New York nicht mehr aushielt. „Ich hatte keinen Plan und da mir niemand eine halbe Million Dollar zu Verfügung gestellt hat, habe ich alles mögliche gemacht“, sagt sie. Sie arbeitete als Kostümdesignerin, Journalistin und Filmemacherin. Sie gründete eine Art soziales Netzwerk für die Modeschaffende, lange vor Facebook. Keiner verstand so richtig, was das sollte. „Dianes Tragik ist“, sagt Fashion Consultant Florian Müller, der mit Pernet befreundet ist, „dass sie mit ihren Ideen immer ein bisschen zu früh dran ist.“ Früh dran war sie auch mit der Idee, auf einer eigenen Seite im Internet über Mode zu berichten – über wen, wann und wie sie wollte. 2005 gründete sie ihren Blog „A Shaded View on Fashion“ und wurde damit zur ersten Modebloggerin der Welt. Auf dem Blog berichtet sie bis heute von ihren Modeerkundungen auf der ganzen Welt. Unermüdlich reist die inzwischen über 70jährige von Fashion Week zu Fashion Week. Auch nach Berlin kommt sie regelmäßig, auch wenn das, was hier passiert, im weltweiten Vergleich nicht besonders wichtig scheint.
Wenn man mir ihr spricht, ist man überrascht von ihrer Zartheit und Freundlichkeit, die in der Modeszene eher selten zu finden sind, und es drängt sich der Eindruck auf, dass ihr Outfit mit der obligatorischen schwarzen Brille auch eine Rüstung ist gegen die Härte und Zynismus der Welt. Ihre Stimme ist leise und rauchig und man muss schon aufmerksam sein, damit man ihre pointierten Beobachtungen und treffend witzigen Bemerkungen unter den Laut-Sprechern, die sie umgeben, nicht verpasst.
„Ich kenne Diane seit 20 Jahren“, sagt Müller, „und es gibt keine einzige blöde Geschichte von ihr. Ich habe sie noch nie zickig erlebt. Und das kann man in der Modeszene von kaum jemandem sagen.“
Sie ist zugewandt und interessiert – vor allem an Talent, für das sie ein untrügliches Gespür hat. Ob Mattieu Blazy, neuer Kreativdirektor von Bottega Veneta oder Vetements-Gründer und Balenciaga-Kreativdirektor Demna Gvasalia – Pernet kennt sie seit deren Uni-Abschluss-Shows. Da geht sie, anders als die meisten Moderedakteurinnen, nämlich hin.
So ist es nicht erstaunlich, dass sie sich für Filme über Mode interessierte, lange bevor jede große Marke begann ihre Kollektionen in bewegten Bildern zu inszenieren. 2006 gründet sie das „ASVOFF“ Filmfestival, das seither regelmäßig stattfindet. Obwohl sie kein Budget hat – auch diesmal gibt es keine Sponsoren – gelingt es ihr ein beeindruckendes Programm zusammenzustellen. Die Liste der Beitragenden und Jury-Mitglieder, darunter Musikerin Roisin Murphy, Influencer Bryanboy und Tate Modern Kurator Osei Bonsu liest sich wie ein Who is Who künstlerischer, musikalischer und modischer Avantgarde. Jurypräsident ist der Filmemacher Bruce LaBruce, wichtiger Protagonist des New Queer Cinema, der im Rahmen des Festivals seinen neuen Spielfilm vorstellen wird. Neu dazugekommen sind die Kategorien „Black Spectrum“ und „Digital Fashion“ und die „Industry Tea Talks“, Fachgespräche zu aktuellen Themen wie Nachhaltigkeit. Das Programm reicht von Filmen zu und von einzelnen Designern, wie „Folk Horror Tale“, in dem John Galliano seine Kollektion für Margiela in Szene setzt, über Experimentelles wie Susanne Deekens „The Hairy Notion of a Green Afternoon“ über eine sich ständig wandelnde weibliche Gestalt bis hin zu Wendy Owusus Erforschung schwarzer Frisuren „Hidden Heritages“.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Beiträge, alle haben „eine künstlerische Aura und die wahrnehmbare Einzigartigkeit“, sagt Diane Pernet.

So wird sie in diesen ersten Dezembertagen wieder alle zusammenbringen und für alle da sein, egal wie viel Arbeit das für sie bedeutet. Einfach, weil sie es so liebt dazu beizutragen, wenn etwas Aufregendes, Schönes, Neues in die Welt kommt.