„Unsere Kultur ist extrem fettfeindlich“

Frau Michelberger, auf dem Cover Ihres gerade erschienen Buches „Body Politics“ tragen Sie ein spektakuläres buntgemustertes Kleid, wer hat es entworfen?
Das Kleid ist von Mara Hoffman, eines der wenigen Designerlabels, die ihre Entwürfe in großen Größen anbieten.

Es ist also schwer für Sie, etwas zu finden, das Ihnen gefällt?
Extrem schwer! Für das Buchcover wollte ich ein wirklich tolles Kleid haben und war bereit, eine vierstellige Summe auszugeben. Ich habe Designer-Onlineshops von Net-a-Porter bis My Theresa durchgeschaut, aber ich habe nichts gefunden. Bei den meisten Designern geht es über Größe 42 nicht hinaus.

Aber es gibt doch auch Labels für große Größen?
Das meiste davon würde ich aber nicht als Mode bezeichnen. Es gibt da nur noch zeltartiges und Ponchos, mit denen man sein Gewicht kaschieren soll. Ich möchte auch nicht in diese in Seitenstraßen versteckten Spezialgeschäfte gehen, das ist diskriminierend. Ich möchte behandelt werden wie alle anderen auch.

Damit sind Sie ja nicht allein. Die durchschnittliche Kleidergröße deutscher Frauen ist 42/44. Lassen sich Designer da nicht viel Geschäft entgehen?
Ich bin sehr sicher, dass es da eine große Marktlücke gibt. Ich werde ständig von meinen Followerinnen gefragt, wo ich meine Sachen kaufe. Manche Instagramerinnen machen inzwischen eigene Kollektionen, die sind meist sofort ausverkauft. Wir Konsumentinnen rollen da das Feld gerade von hinten auf.

Warum ist die Mode Ihrer Meinung nach so auf Schlankheit fixiert?
Wir leben in einer Diätkultur und Mode ist ein wichtiges Puzzleteil dieser Kultur. Eine ganz bestimmte Körperform wird auf ein Podest gestellt und als „ideal“ inszeniert. Wir kriegen von klein an eingetrichtert, dass bestimmte Körper begehrenswerter sind als andere.

Und diese Körper sind dünn.
Genau. Und sie werden immer dünner.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Musterteile, die High Fashion Labels für Fotoproduktionen verschicken, so klein sind „als wären sie nicht für real existierende Personen gemacht“.
Ja, wir konnten manchmal in ganz Hamburg kein Model finden, das da reinpasst. Daher wird oft mit Models gearbeitet, die fast noch Kinder sind, 14-15 Jahre alt.

Wie erklären Sie sich das?
Ich glaube, das hat auch mit dem männlichen Blick zu tun. Designer, Casting-Direktoren, Art Direktoren – das sind immer noch meist Männer, oft schwule Männer, die Frauen als Objekte inszenieren.

Und die sich vor überbordender Weiblichkeit fürchten?
Vielleicht. Sie mögen jedenfalls dieses verträumt Elfenhafte. In der Mode geht es immer darum, einen Traum zu verkaufen.

Und dazu gehört Unerfüllbarkeit?
Zumindest Exklusivität. Eine bestimmte Körperform ist die Eintrittskarte. Sonst kann man nicht dabei sein.

Und um dabei zu sein, wird gehungert.
Ja. Ich habe fast 30 Jahre eine Diät nach der anderen gemacht, bin magersüchtig geworden und habe das Ideal dennoch nie in Frage gestellt. Und ich habe in der Modeszene auch kaum jemals jemanden getroffen, der ein normales oder gar positives Verhältnis zu seinem Körper hat.

Warum ist denn das Schönheitsideal so dünn?
Unsere Kultur ist extrem fettfeindlich. Schlank steht dafür, sein Leben im Griff zu haben, erfolgreich und zielorientiert zu sein, ein dicker Körper dagegen ist etwas, gegen das man ständig angehen muss.

Hier werden meist Gesundheitsaspekte angeführt.
Ja, das ist das Hauptargument. Aber das ist ein wenig heuchlerisch. Als ich magersüchtig war, hat nie jemand Sorge um meine Gesundheit geäußert. Und selbst wenn ich Diabetikerin wäre – was ich nicht bin – würde das rechtfertigen, dass ich es nicht verdient habe, modische Kleidung zu tragen?

Auch mangelnde Disziplin wird Ihnen oft unterstellt.
Ja, das ist ein bisschen verrückt, es war in meinem Fall ja die extreme Disziplin, mit der ich gehungert habe, mit der ich meinen Stoffwechsel massiv beschädigt habe. Der läuft jetzt für immer auf Sparflamme. Ich werde also dicker, selbst wenn ich immer noch nicht viel esse.

Wie ist es Ihnen gelungen, mit dem Hungern aufzuhören und ihren Körper zu akzeptieren?
Ich arbeite immer noch daran. Es sind viele kleine Schritte, ich habe die Fettphobie ja auch verinnerlicht und damit einen abwertenden Blick auf mich selbst entwickelt. Was mir sehr geholfen hat, sind die vielen Instagram-Accounts von Frauen, die größere Körper haben und damit selbstbewusst umgehen.

Hat sich Ihr Verhältnis zur Mode geändert?
Auf jeden Fall! Ich liebe es immer noch, mich schön anzuziehen und kann mich stundenlang mit Materialien und Trends beschäftigen. Aber seit ich meinen Körper nicht mehr in das gültige Ideal schrumpfe, bin ich zur Außenseiterin geworden. Es wird mir schwer gemacht, noch Teil der Branche zu sein. Ich gehöre aufgrund meiner Figur nicht mehr dazu. Und wenn ich bei meiner Lieblingsdesignerin Stine Goya, wo ich jahrelang eingekauft habe, nichts mehr finde, ist das schon verletzend. So als würde man mir sagen: ‚Dich wollen wir nicht mehr.‘

Was wünschen Sie sich?
Wir sollten die unerreichbaren Ideale in Frage stellen und uns bewusst diversere Bilder suchen. Es gibt so viele unterschiedliche Körper! So viele unterschiedliche Arten von Schönheit. Wir sollten daran arbeiten, dass unser erster Gedanke, wenn wir einen dicken Menschen sehen, nicht ist: ‚Wieso nimmt der nicht ab?‘ Ich wünsche mir, dass wir gegen Körpernormen kämpfen und nicht gegen Körperformen.

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