In mir wächst ein Alien
Tanja Holfeld ist in der 20 Woche schwanger. Sie und ihr Partner sind glücklich und freuen sich auf ihr Kind. Dennoch gibt es Tage, an denen die 27jährige nicht aufhören kann zu weinen. Tage, an denen ihre Angst sie einholt. „Zu wissen: es gibt jetzt kein Zurück mehr, die Geburt wird kommen, die Schmerzen werden kommen – das macht mich manchmal total fertig. Und ich habe zusätzlich noch ein schlechtes Gewissen meinem Kind gegenüber, weil ich solche Gefühle habe.“
Die Angst, die Tanja Holfeld quält und die sie fast daran gehindert hätte, überhaupt schwanger zu werden, nennt man Tokophobie – Schwangerschaftsphobie. Tokophobie ist eine spezifische Angststörung, bei der die Betroffenen pathologische Angst vor Schwangerschaft und Geburt haben.
Bereits als Jugendlicher wurde Holfeld bewusst, dass mit ihr offenbar etwas „nicht stimmte.“ Als sie verkündete, dass sie niemals Kinder bekommen würde, weil ihr die Vorstellung grässlich war, erlebte sie heftige Reaktionen. „Man hat mir gesagt: das ist total unnormal, Frauen sind doch evolutionär so gemacht, dass sie Kinder wollen, wegen Leuten wie dir wird die Welt irgendwann zugrunde gehen.“ Sie war verunsichert und fragte ihre Frauenärztin, ob es Kurse gäbe, in denen man lernen könne, die Angst vor der Schwangerschaft zu überwinden. „Die hat mich nur ganz irritiert angeschaut.“
„ Schwanger zu sein und Kinder zu bekommen wird als erstrebenswertes Ziel angesehen. Es ist ein Zustand, der einem in der Regel Anerkennung und Wohlwollen beschert. Angst davor ist tabuisiert“, sagt Jana Friedrich. Die Hebamme schreibt auf ihrem Blog hebammenblog.de über Themen rund um Schwangerschaft und Geburt. Eines Tages bekam sie eine Mail von einer Leserin, die von ihrer Schwangerschaftsphobie berichtete: „Ich bin davon überzeugt, dass Kinder das Leben reicher, schöner, intensiver und größer machen!“, schrieb die Frau.
„Aber die Vorstellung selber schwanger zu sein, finde ich sehr erschreckend. (…) Ich möchte nicht, dass sich mein Körper so verändert. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, diese Veränderungen zu genießen. Stolz, gespannt und erfreut sein zu können, dass sich plötzlich etwas Lebendiges in mir bewegt? Wie könnte ich mich darüber freuen, ohne das Gefühl zu haben, in mir würde ein Alien wachsen?!“ Friedrich postete den Beitrag auf ihrem Blog – und war überrascht über die Reaktion. „Es kam ein gigantisches Feedback. Offenbar ist das ein großes Thema, das nicht besprochen wird.“
Anonymisiert im Internet haben sich viele betroffene Frauen erstmalig getraut, über ihre Angst zu sprechen. In ihrem Umfeld stoßen sie oft auf Unverständnis und wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen.
Die Suche nach Experten, die Auskunft geben können, ist mühsam. Die Abteilungen für Geburtshilfe und Gynäkologie der Berliner Charité fühlen sich nicht recht zuständig.
Psychiater Jens Plag hält die Spezialambulanz für Angsterkrankungen, an der er als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist, zwar für durchaus zuständig, räumt aber ein, dass man hier bisher kaum Erfahrungen mit Tokophobie hat. „Das liegt wahrscheinlich daran, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt, weil Frauen sich aus sozialen Gründen nicht trauen, mit ihrem Problem an die Öffentlichkeit zu gehen.“
Wissenschaftliche Forschung zum Thema gibt es wenig, aber Schätzungen gehen davon aus, dass in Europa immerhin bis zu 20 Prozent aller Frauen betroffen sind. In einer englischen Studie aus dem Jahr 2000 gaben 13 Prozent aller nicht schwangeren Frauen an, eine Schwangerschaft aus Angst zu vermeiden. Die genaue Zahl der Betroffenen ist schwer zu ermitteln, da mit Tokophobie sowohl die Angst vor der Schwangerschaft als auch die Angst vor einer vaginalen Geburt beschrieben wird und sehr viele Aspekte hineinspielen: Angst vor körperlicher Veränderung und Schmerzen, vor Veränderung von Lebensumständen, Partnerschaft und beruflicher Zukunft, Angst davor, dass mit dem Kind etwas nicht stimmt – und dass all diese Aspekte bis zu einem gewissen Grad normal und angemessen sind. Auch die Ursachen sind vielseitig. Erwiesen ist, dass Frauen anfälliger sind, die bereits unter Depressionen oder anderen Angsterkrankungen leiden. Auch Arbeitslosigkeit und Ambivalenz der Partners gegenüber einer Schwangerschaft erhöhen die Wahrscheinlichkeit. Das scheint naheliegend und bis zu einem gewissen Grad normal. „Wenn eine Frau aber gerne Kinder möchte und aus psychischen Gründen nicht schwanger werden kann und darunter leidet, sollte sie sich therapeutisch behandeln lassen“, sagt Jens Plag.
So wie Kirsten Beier. Die 31jährige ist seit einem Jahr verheiratet und wünscht sich ein Kind. Aber sie ist so beherrscht von der Angst, bei der Geburt zu sterben, dass sie sich nicht traut, die Pille abzusetzen. Ihre Angst geht sogar so weit, dass sie es trotz Pille oft nicht fertig bringt, mit ihrem Mann zu schlafen. „Wir haben monatelang keinen Sex“, sagt sie. Zurzeit ist sie auf der Suche nach einem Therapieplatz in der Hoffnung, eines Tages ihre Angst zu überwinden. „Es beherrscht meinen Alltag“, sagt sie, „Das Thema ist ständig in meinem Kopf und überall sehe ich Schwangere und Neugeborene. Oft wünsche ich mir, dass ich die Entscheidung nicht treffen müsste und es einfach passieren würde.“
„Die sichere Verhütung kann für manche Frauen zum Problem werden“, sagt die Gynäkologin Annette Mährlein, die seit 12 Jahren ihre Praxis in Steglitz betreibt. „Die Entscheidung, schwanger zu werden, ist eine große Verantwortung, mit der viele überfordert sind.“ Überhaupt sei Schwangerschaft in den letzten Jahren viel schwieriger geworden. Schwangere sind verunsichert und stehen unter großem Druck, alles richtig zu machen. Sie beobachtet Patientinnen die Entscheidung immer weiter hinaus schieben und immer neue Gründe haben, warum es gerade nicht passt. „Bei einigen vermute ich, dass es Angst ist, die hinter der Vermeidungshaltung steckt.“ Aber kaum eine spricht darüber. „Dass eine Frau sagt: ich will ein Kind, aber ich habe furchtbare Angst vor Schwangerschaft und Geburt – das passiert ganz selten.“ Dabei könnte sie durchaus helfen. Sie arbeitet mit spezialisierten Therapeutinnen zusammen, an die sie Patientinnen überweist. Überhaupt, ist sie überzeugt, ist das Einfühlungsvermögen und psychosomatische Wissen von Ärzten in den letzten Jahren deutlich fortgeschritten ist.
„Ich möchte Frauen ermutigen, offen mit ihren Ärzten zu sprechen“, sagt Mährlein.
Denn Tokophobie ist, wie andere phobische Störungen, gut behandelbar. „Sinnvoll ist hier eine klassische Verhaltenstherapie.“ Dabei wird die Angst in all ihren Aspekten besprochen. „Man versucht die Gründe für die Angst zu ermitteln, sie genau zu beschreiben, einer Realitätsprüfung zu unterwerfen und sie dann schrittweise abzubauen,“ erklärt Plag.
Tanja Holfeld ist es so gelungen, ihre Angst zu überwinden. „Es hat mir sehr geholfen, mit meiner Therapeutin ehrlich und in allen Aspekten über Schwangerschaft und Geburt zu sprechen“ sagt sie. Über Schmerzen und was man dagegen tun kann und auch über die Möglichkeit eines Kaiserschnitts. Wenn sich die Angst sich in erster Linie auf den Vorgang der vaginalen Geburt bezieht, kann der durchaus eine Option sein. In den letzten Jahren ist die Anzahl der Kaiserschnittgeburten in Deutschland auf inzwischen 30 Prozent gestiegen, darunter geschätzt … „Wunschkaiserschnitte“. Zwar ist in Deutschland für einen Kaiserschnitt eine medizinische Indikation vorgeschrieben, die lässt sich allerdings recht leicht konstruieren und heftige Angst kann durchaus als solche gelten.
„Wir wissen, dass die Geburt sehr schlimm verlaufen kann, wenn eine Frau panikartige Angst hat“, sagt Mährlein, die vor ihrem Medizinstudium als Hebamme gearbeitet hat. „Zwar bin ich nicht unbedingt dafür einen Kaiserschnitt zu machen, der medizinisch nicht notwendig ist, aber es ist eine Option, wenn die Vorstellung für die Frau zu dramatisch ist.“
Holfeld hat gelernt, dass es ihre Angst nährt, im Internet über Schwangerschaft zu lesen oder sich mit ihrer Mutter, die viele Horrorgeschichten zu erzählen hat, über das Thema Geburt zu unterhalten. Also lässt sie es sein. Sie hat sich eine Beleghebamme gesucht, die sie bei der Geburt belgleiten wird. „Zu wissen, dass sie die ganze Zeit dabei sein wird, beruhigt mich sehr.“
Tanja Holfeld würde sich einen offeneren Umgang mit dem Thema Schwangerschaftsphobie wünschen. Sie ist froh, sich dem Thema gestellt zu haben, als es noch nicht zu spät war. Als sie auf hebammenblog.de die vielen Zuschriften von Frauen um die 40 gelesen hat, die es nicht geschafft haben, schwanger zu werden, war sie entsetzt. „Wenn man aus Angst kein Kind bekommt, verzichtet man ja auf sehr viel, das ist ja nicht wie auf einen großen Fernseher verzichten.“