Eine Holzplatte in der Nische, davor ein Stuhl. Keine hässliche Technik stört das Bild, kein Stapel unbearbeitetes Papier, der unten schon zu Staub zerfällt. Der Blick aus dem Fenster schweift über verwilderte Beete in die Baumkronen.
Hier möchte man Bedeutsames schreiben. Es muss ja nicht gerade der große abendländische Roman werden, man will ja nicht anmaßend sein. Aber etwas, das Tiefe hat. Einfach da sitzen, in sich hinein hören, bis etwas wirklich Gutes auftaucht. Nicht ständig abgelenkt werden vom Klingeln der Telefone und den blöden Witzen der Kollegen, nicht immer irgendeine Deadline im Nacken und nach jeder Abgabe das nagende Gefühl: Ich könnte es besser.
Wer nicht vom süßen Nichtstun träumt, sondern davon, endlich einmal in Ruhe zu arbeiten, der sollte nach Klein Glien fahren.
Hier, 90 Kilometer südwestlich von Berlin, liegt das „Coconat Workation Retreat“, eine Kombination aus Rückzugsort in der Natur und Coworking Space. Das Projekt begann mit dem Wunsch der sechs Gründer nach einem Arbeits- und Lebensort, der zwar ruhig und im Grünen sein sollte, aber möglichst bevölkert von inspirierender Gesellschaft. Schließlich erfuhren sie von dem alten Gutshof, für den ein Nutzer gesucht wurde. „Der Ort hat sich uns ausgesucht“, sagt Iris Wolfer, eine der Gründerinnen. Der Hof, der eine Weile leer gestanden hatte, bietet ideale Voraussetzungen für „Community and concentrated work in nature“: Arbeitsplätze für Einzelpersonen und Gruppen, Übernachtungsmöglichkeiten, Restaurant – und schnelles Internet.
Weltweit sind in den letzten Jahren Orte für Menschen entstanden, die Reisende sind, aber keine Touristen. Das Roam in Bali, das Surf Office in Gran Canaria, das Mutinière Village außerhalb von Paris – hier trifft sich, wer außer seinem Labtop zum Arbeiten nichts braucht, Menschen die überall arbeiten können, wollen – und müssen. Zwei Wochen vollkommen abschalten? Diese Art von Urlaub kann sich heute kaum jemand erlauben, sicherlich kein Freiberufler.
In der Hängematte zwischen zwei Bäumen baumelt eine Frau mit buntem Pullover in der Herbstsonne und tippt eifrig auf ihrem Handy. Um sie herum tollen zwei Hunde. Neben den kalten Resten des Lagerfeuers vom Vorabend sitzen zwei junge Männer auf einem Stapel Paletten, vertieft in ein intensives Gespräch, in der Remise übt eine Yogagruppe herabschauende Hunde. Im Gemeinschaftsarbeitsraum im Haus ist es still, wer telefonieren muss, geht in den Skyperaum nebenan. Wenige Monate nach der Eröffnung ist das Coconat gut besucht. „Wir haben kaum Werbung gemacht“, sagt Wolfer, „unser Angebot hat sich einfach schnell herum gesprochen.“ Und zwar weltweit. Echte digitale Nomaden wie internationale Blogger ohne festen Wohnsitz oder Unternehmensberater auf Weltreise machen hier ebenso Station wie Autorinnen aus Berlin, die mal ein paar Tage Abstand vom Alltag brauchen.
Und Menschen aus der Nachbarschaft kommen auch. Es ist den Coconat-Betreibern sehr wichtig, kein Ufo zu sein, sondern aktiv in der Gemeinde mitzuwirken. „Wir wollen mehr sein als der erste Co-Working-Space auf dem Land, es geht uns auch um Gemeinwohl-Orientierung und die Entwicklung des ländlichen Raums“, so Wolfer. Von Anfang an wurden deshalb die Nachbarn in die Planung einbezogen. Heute trifft sich hier der Ortsbeirat ebenso wie diverse lokale Vereine und Initiativen. Das Dorffest wurde vergangenen Sommer auf dem Gelände veranstaltet und die mobile Mosterei von Sascha Gostynski und Boris Papprott hat auf dem Hof einen festen Standort gefunden.
Besser als in Berlin
„In einem Dorf mit 200 Einwohnern zu wohnen und fußläufig einen solchen Ort zu haben, der mit Angeboten in Berlin locker mithalten kann, das ist doch großartig“, freut sich der Softwareentwickler Robert Kaden, der regelmäßig kommt. Und die … Filmemacherin, die vor fünf Jahren aus Berlin hierher gezogen ist und im Coconat einen Stammtisch der lokalen Medienschaffenden initiiert hat, sagt: „Dieses Haus hat extrem schöne und großzügige Räume, so etwas gibt es in Berlin gar nicht“.
Es ist 12.30 Uhr, Zeit fürs Mittagessen. Es gibt Gemüsecurry und Salat. Wer mag sitzt an Biertischen im Garten. Der ist vom heißen Sommer ein wenig verdörrt. Hier soll ein Permakulturgarten entstehen, eines der vielen Projekte, die umgesetzt werden sollen. Tiny House Village, Baumhausarbeitsplatz, Ausbau des Dachbodens – es gibt viele Ideen und viele helfen mit.
Kreativarbeiter arbeiten oft allein, beim Essen kommt man ins Gespräch. „Durch die Vielfalt entstehen Synergien und die bringen Neues“, ist Iris Wolfer überzeugt.
Hier schafft man in ein paar Stunden mehr als an zwei Tagen im Großraumbüro. Es bleibt also Zeit, die Gegend zu erkunden. Zum Beispiel den Hagelberg, den zweithöchsten Berg Brandenburgs, zu ersteigen. Die 200 Meter sind schnell bewältigt.
Oben hat man einen weiten Blick über die Hügel des Flämings und auf die beeindruckenden Gerätschaften die Hobbyfunker, die hier ihre Station haben. Nur in der deutschen Provinz, wo es kaum Handyempfang gibt, macht Hobbyfunken wohl noch Sinn. „Ja, ich höre dich gut, Charly, Delta, Delta.“
Kreativregion Fläming
Im Fläming gibt es einiges zu entdecken. Dies ist eine kreative Region. Das liegt wohl an den Pionieren des Zentrums für experimentelle Gesellschaftsgestaltung (ZEGG), das 1991 in Bad Belzig gegründet wurde. Das ZEGG veranstaltet jährlich über 100 Workshops, Seminare und Festivals zu gesellschaftlichen und künstlerischen Themen, zu Liebe und Sexualität – weshalb es auch immer wieder mal als „Sex-Sekte“ durch die Medien geistert. Im Gefolge kamen über die Jahre viele Künstler, Kunsthandwerker und Esoteriker. Insbesondere die Dichte der Töpferwerkstätten ist hoch. Eine besonders schöne befindet sich nur wenige Kilometer von Coconat entfernt in Schmerwitz. In der Werkstatt von Königsblau Keramik kann man den Töpfern bei der Arbeit zuschauen oder selbst Gefäße gestalten. Das dazugehörige Töpfercafé ist im eindrucksvollen Raum einer alten Kirche untergebracht und bietet guten Kuchen.
Auch in Wiesenburg, mit seiner schön restaurierten Altstadt und dem Schloss gibt es Künstlerisches zu entdecken. Zum Beispiel die Holzschnitte, Kollagen und Radierungen von Frieda Knie, die man im Atelier besichtigen und kaufen kann. Auch diverse Workshops bietet die Grafikerin an.
Der Abend im Gutshof Glien lässt sich am schönsten in der Bibliothek verbringen. Die dunkelgrünen Wände, der Marmorkamin und die gemütlichen Sofas verströmen den Charme eines englischen Landsitzes. Nur die merkwürdigen Faultierpuppen und die wilden Bücherstapel auf dem Boden stören ein wenig das Bild. Die Bücher hat einfach noch niemand eingeräumt.
„Die Dinge passieren hier, wenn jemand Bock hat sie zu tun“, sagt Maria, die am Wochenende aus Berlin hier heraus kommt und gegen Kost und Logis bei der Arbeit hilft.
Und vielleicht ist es ja genau dieser improvisierte Charme, den kein durchdesignter Co-Working-Space mit Backsteinwand von der Stange bieten kann, der nicht nur digitalen Nomanden gefällt, sondern auch die Entwicklungsabteilungen großer Unternehmen wie Mercedes Benz und Telecom lockt.
Die Nacht im fremden Bett ist erfrischend, kein alt vertrauter Traum lauert in den Kissen und die Geräusche beim Aufwachen sind auf angenehme Weise ungewohnt.
Fremde Vögel zwitschern und nur gelegentlich fährt ein Auto vorbei.
Merkwürdig eigentlich, dass immer mehr Menschen sich in die Städte drängen und sich dann hinaus sehnen auf Land. Andererseits ist das so neu wieder auch nicht.
Schon im 19. Jahrhundert haben Städter von der Ursprünglichkeit der Natur geschwärmt.Neu ist vielleicht, dass wir immer alles gleichzeitig wollen, von allem das Beste. Und vielleicht kriegen wir es ja sogar. „Seit ich auf dem Land wohne, habe ich es richtig gut“, sagt Iris Wolfer, „Berlin und die Welt kommen jetzt zu mir und ich habe Zeit zum Reden“
Coconat-Space