Der Modephilosoph
Im Sommer 2011 ist die Fashion Week vom Bebelplatz zurück ans Brandenburger Tor gezogen. Ist das der perfekte Platz?
Wir sind sehr glücklich über diesen Ort. Das Brandenburger Tor ist ein Wahrzeichen, das auf der ganzen Welt bekannt ist. Es ist wie ein Leuchtturm. Ein Leuchtturm für die Modewelt.
Warum hat die Firma IMG 2007 entschieden, eine Fashion Week in Berlin zu gründen?
Die Frage war damals eher: Warum gibt es noch keine Fashion Week in Berlin? Es war im Grunde sehr seltsam, dass solch ein großer Markt wie Deutschland noch keine internationale Modeplattform hatte. Es gab zwar viele starke Messen, wie der Bread & Butter, die Premium, aber keine Catwalk-Events, die Designer heute brauchen, um sich der Welt zu präsentieren. Aber es wären auch andere Orte in Deutschland in Frage gekommen. Von den großen deutschen Modeunternehmen sitzt ja keins in Berlin. Berlin ist das deutsche New York. Es hat von allen deutschen Städten das meiste internationale Flair. Es ist das kreative Herz Ihres Landes. Die Hauptstadt des Films, der Musik, der Kunst war es schon, warum also nicht auch die Hauptstadt der Mode?
2007 hieß es, die Fashion Week kommt zunächst für fünf Jahre, die sind jetzt fast um. Wie sieht die Planung aus?
Wir haben nie gesagt, dass wir nach fünf Jahren wieder gehen, sondern dass wir zunächst einmal fünf Jahre schauen, wie es läuft. Und es läuft sehr gut. Unser Partner Mercedes-Benz hat die Mode inzwischen als festen Bestandteil seines Marketings etabliert, die Zahl der Designer, die in Berlin ihre Kollektionen zeigen, hat sich verfünffacht, junge Designer sind glücklich über die Möglichkeit, sich zu präsentieren und zunehmend kommen auch große internationale Labels.
Bei den vielen Fashion Weeks, die es auf der Welt gibt – was macht Berlin überhaupt interessant für internationale Designer?
Es ist natürlich sehr unwahrscheinlich, dass Giorgio Armani Mailand verlässt, um in Berlin zu zeigen. Aber Berlin kann dennoch auch für internationale Labels interessant sein. Auf jeden Fall unter Marketing-Gesichtspunkten. Berlin hat eine große Ausstrahlung. Aber der Schwerpunkt unserer Arbeit ist es, eine Plattform für deutsche Designer zu schaffen, insbesondere für junge Designer. Dafür war es zunächst wichtig, Teil des internationalen Modezirkusses zu werden, des Grand Slam der Mode. Das ist gelungen.
Dennoch schrieb der „Spiegel“ im Januar 2011, die Modestadt Berlin sei gescheitert.
Ja, wir waren alle ziemlich schockiert. Das war der einzige Wehmutstropfen in einer ansonsten perfekten Veranstaltung, mit der alle glücklich waren – die Politik, die Designer, die Einkäufer. Wir haben den Artikel dann allerdings mehr als technischen Fehler verbucht. Es war offensichtlich, dass die Autorin wenig Ahnung von Mode hatte. Schon seltsam, dass ein so renommiertes Magazin wie der „Spiegel“ keinen Moderedakteur hat.
Fühlen Sie sich denn in Berlin gut aufgenommen?
Von Seiten der Politik und Verwaltung haben wir sehr viel Unterstützung bekommen. Die Presse war allerdings anfangs sehr skeptisch. 2007 war es noch schwer, die „Vogue“ davon zu überzeugen, überhaupt jemanden zu schicken.
Diesen Sommer kam sie nicht nur, sondern veranstaltete erstmals den „Vogue Salon“, der junges Berliner Modedesign präsentierte. Warum hat das so lange gedauert?
Aus meiner Perspektive hat es sehr kurz gedauert. Dass die „Vogue“ heute hier in Berlin nach jungen Talenten sucht, ist toll. Wir sind sehr stolz darauf. Natürlich haben wir Labels wie Augustin Teboul, Mongrels in Common, Lala Berlin oder Kaviar Gauche nicht entdeckt, aber wir haben die Plattform geschaffen, auf der sie sich der Welt präsentieren können. Hier in Berlin sind alle so ungeduldig, man muss sich gelegentlich klar machen, dass in sehr kurzer Zeit unglaublich viel passiert ist.
Das fehlende Modebewusstsein der Berliner wird immer wieder kritisiert. In einer so unmodischen Stadt sei eine Fashion Week im Grunde fehl am Platz. Wie sehen Sie das?
Ich sehe das nicht so. Berlin hat eine sehr starke Identität. Die Menschen hier sind sehr eigen. Wenn man durch Berliner Straßen läuft, sieht man eine große Vielfalt an sehr unterschiedlichen Stilen. In Mailand, wo ich herkomme, ist das nicht so. Da sehen die Menschen sehr homogen aus. Dort sind viele von oben bis unten in Markenkleidung gekleidet. Labels raushängen zu lassen, ist dagegen in Berlin verpönt. Deshalb sind Designer wie Martin Margiela oder Dries van Noten, die vor allem für ihr zurückhaltendes Stilempfinden bekannt sind, hier sehr beliebt.
Es wird oft kritisiert, dass Mode in Deutschland nicht als Kulturgut angesehen wird.
Das gilt für Berlin ja gerade nicht: Hier fehlt nicht die Kultur der Mode im Sinne von Visionen und kreativer Auseinandersetzung, sondern die Industrie.
Dennoch werden Berliner Museen, die Mode zeigen, regelmäßig kritisiert. Von der Ausstellung „COATS! Max Mara, 55 Jahre Mode aus Italien“, die 2007 im Kulturforum gezeigt wurde, hieß es, sie sei eine Werbeveranstaltung für das italienische Modehaus.
Die Einstellung zu Mode als Kulturgut ist weltweit im Wandel. Auch die Alexander-McQueen-Ausstellung im New Yorker Metropolitan Museum wäre vor 15 Jahren nicht denkbar gewesen. Die Wertschätzung wächst, gerade auch von jungen Berliner Designern, deren Mode jetzt immer öfter auch von Celebrities auf dem roten Teppich getragen wird. Iris Berben trägt Michael Sontag, Heike Makatsch mag Kaviar Gauche und Karoline Herfurth wird in Kilian Kerner gesehen. Dadurch steigt das Ansehen dieser Marken.
Wer von den jungen Berliner Designern hat Ihrer Meinung nach das Potenzial zu einer internationalen Karriere?
Ich möchte keinen hervorheben, das ist nicht mein Job. Wir lieben jeden einzelnen unserer Designer aus einem anderen Grund.
Dem Berliner Nachwuchs wird oft vorgeworfen, er sei zu unprofessionell und würde sich zu wenig für die wirtschaftlichen Aspekte der Mode interessieren.
Ach, glauben Sie mir, in London und Paris sagen sie genau das gleiche, also kein Grund zur Sorge.
pills24honline.com Das konnten wir bei unserer Recherche nicht herausfinden: Wo leben Sie eigentlich?
Das ist eine gute Frage. Vor zwei Jahren bin ich von Paris nach London gezogen, aber eigentlich pendle ich zwischen Paris, London und Mailand.
Wie viel Zeit verbringen Sie in Berlin?
Nicht mehr ganz so viel wie vor fünf Jahren, als ich jede Woche zwei Tage hier verbracht habe. So einmal im Monat bin ich heute hier.
Eine reine Arbeitsbeziehung?
Nein, ich muss gestehen, ich habe eine Schwäche für Berlin. Es ist immer noch eine kulturelle, intellektuelle Oase. Eine Stadt voller spontaner dynamischer Energie.
Gibt es Orte, die Sie besonders mögen?
Den Westen. Die Gegend rund um den Savignyplatz habe ich kennen gelernt, als ich das erste Mal in Berlin war, das war noch zu Mauerzeiten. Ich hänge etwas am alten Westen. Vielleicht, weil ein Idol meiner Jugend Wim Wenders war. Aber ich mag auch die junge Szene in Prenzlauer Berg und Mitte, die Auguststraße insbesondere. Da gibt es dieses Lokal, dessen Namen ich nie aussprechen kann … Ballroom?
Clärchens Ballhaus?
Genau. Das ist einer dieser Orte, die typisch sind und ihre Originalität bewahrt haben. Da ich viel reise, suche ich immer interessante Lokale und Läden, die man nicht überall findet. Wie den Concept Store von Andreas Murkudis.
Findet man deutsche Mode in Ihrem Kleiderschrank?
Ich habe Sachen von Hugo Boss und Strenesse, ich trage ja meistens Anzug und Krawatte.
Sie gehören zu Ihrem Job, aber mögen Sie eigentlich Modenschauen?
Natürlich, sie sind eine wunderbare Ausdrucksform und sehr unterhaltsam. Das ist, wie Filme auf Festivals anzuschauen.
Gibt es etwas, das sie nicht daran mögen?
Schlange stehen. Auf die Gefahr hin ein Klischee zu bedienen, muss ich sagen, dass Berlin der einzige Ort auf der Welt ist, wo Modenschauen tatsächlich pünktlich beginnen.
Können Sie sich an Ihre erste erinnern?
Ich komme aus Mailand, dort dreht sich alles um Mode und Design, fast jeder hat damit irgendwie zu tun. So habe ich schon als Kind Modenschauen erlebt.
Hat Sie eine bestimmte Show besonders beeindruckt?
Hier in Berlin war es die von Patrick Mohr, bei der Obdachlose über den Laufsteg liefen. Das war sehr kontrovers, aber es hat definitiv für Aufsehen gesorgt, auch international.
Sie haben Philosophie studiert, was hat Sie in die Modebranche verschlagen?
Mit dieser Frage enttäuschen Sie mich jetzt, Sie sind doch Berliner, von Ihnen hätte ich mehr Aufgeschlossenheit erwartet! (lacht) Philosophie ist ein fantastisches Werkzeug, um den Geist zu öffnen, elastisch zu halten und die Modebranche ist ein sehr multikulturelles Umfeld, in dem alles immer in Bewegung ist – das passt ganz gut. Ich bin neugierig und an jedem Aspekt des Lebens interessiert. Es war eine furchtbare Vorstellung für mich, mich für einen Bereich zu entscheiden und dann da fest zu hängen.
Offenbar eine ganz unbegründete Sorge – Sie haben Filme gedreht …
Das waren Kurzfilme, die im Urlaub entstanden sind. Alle, die an den Filmen mitgearbeitet haben, sind Freunde aus der Modebranche. Da trifft man jede Menge spannende Leute. Anstatt eine Party zu machen, haben wir eben einen Film gemacht.
Außerdem haben Sie drei Bücher geschrieben. Können Sie so oft Urlaub machen?
Nein, leider bleibt immer weniger Zeit zum Lesen und Schreiben. Die Bücher habe ich geschrieben, als ich gerade aus der Universität kam, sie drehen sich alle um philosophische Themen – Simultanität, Erlösung …
Die ganz großen Themen.
Ja, ganz groß, deshalb arbeite ich jetzt in der Modebranche (lacht).
INTERVIEW: BETTINA HOMANN UND FRANZISKA KLÜN