Freibadglück

Wer die Augen schließt und ‚Freibad’ denkt, dem steigen sinnliche Wahrnehmungen im Gedächtnis auf. Denn es ist vor allem die unmittelbare Körperlichkeit, die das Freibaderleben aus dem Alltag herausheben und für schöne Erinnerungen sorgen. Die kognitive Aktivität dagegen, ist beim atemlosen Bahnenziehen oder dem sanften Dösen auf der Liegewiese eher reduziert. Der Freibadbesucher ist keinesfalls ‚von des Gedankens Blässe angekränkelt’, wie es Shakespeare von seinem Hamlet sagt, sein Teint ist rosig, er fühlt sich gut. Denn diese Kombination aus gesteigertem Körpergefühl und reduzierter Gedankentätigkeit ist dem Glückserleben ausgesprochen förderlich. Es ist das viel beschworene ‚ganz im Hier und Jetzt sein’, das Zen-Buddhisten und Neurobiologen gleichermaßen dem Stressgeplagten empfehlen.

Das Glück liegt in der Gegenwart und eher im Körper als im Kopf. Nicht zufällig begann die große Zeit des Badens mit der Industrialisierung und Urbanisierung. Die Erfahrungsarmut und einseitige Belastung von Büro- und Fabrikalltag führten zu einem Gefühl kollektiver Entfremdung und zum Wunsch nach einem ‚Zurück zur Natur.’ Landschaft und Natur wurden vom alltäglichen Arbeitsumfeld zum Sehnsuchtsraum. Was Tourismus und sportliche Eroberung der Elemente angeht, waren die Engländer Pioniere. Die ersten Seebäder entstanden im 18. Jahrhundert in Brighton, Margate und Bath. 1787 schrieb der preußische Offizier und Schriftsteller Johann Wilhelm von Archenholz in einem Reisebericht: „Das Seebaden ist jetzt in England sehr Mode geworden, daher man viele an der See gelegene Orte dazu einrichtet und mit großen Bequemlichkeiten versehen hat. Es sind sogar im Meere, in einiger Entfernung vom Ufer, Häuschen auferbaut worden, die bloß zum Baden dienen.“
Am 9. September 1793 wurde das erste deutsche Seebad in Heiligendamm an der Ostsee eröffnet. Ärzte empfahlen den Aufenthalt im Wasser als heilsam und den Seebädern folgten in den Städten Badeanstalten für jedermann. 1847 erschien das Handbuch der Wasserheilkunde für Ärzte und Laien, das Flussbäder mit Badehäuschen in fast allen deutschen Städten verzeichnete. Die Badenden wurden in einer Art Käfig zu Wasser gelassen – Schwimmen konnte nämlich noch kaum jemand. Was den Pädagogen Johann Christoph Friedrich Guts-Muths erzürnte. „Bisher ist das Ertrinken Mode gewesen, weil das Schwimmen nicht Mode ist“, schrieb er 1798 und versuchte mit seinem Kleinen Lehrbuch der Schwimmkunst zum Selbstunterricht für Abhilfe zu sorgen.
Dass Schwimmbäder aber nicht nur Raum für gesunde Körperertüchtigung bieten, sondern zu einer gewissen Freizügigkeit einladen, hat den Sittenwächtern noch bis in die 1950er Jahre hinein Sorgen bereitet. 1922 schrieb Konstanze von Franken in ihrem Handbuch des guten Tones: „Das Schwimmen ist ein für Herren und Damen gleich passender, gesunder Sport. Wo Herren und Damen gemeinschaftlich baden, achte auf gute und schickliche Anzüge. Langes Herumgehen im Leintuch oder Badeanzug am Strande ist nicht passend. Vermeide es, den Hof zu machen oder dir machen zu lassen. Eine Vorstellung findet im Wasser nicht statt.“ Und zehn Jahre später sah sich das preußische Innenministerium genötigt mit einer Badepolizeiverordnung – im Volksmund „Zwickelerlass“ genannt – gegen anstößige Badekleidung vorzugehen.
Anstoß an Sittenverfall und Nacktheit zu nehmen, ist heute kaum noch üblich. Kopfschütteln bei den Älteren löst allenfalls das ununterbrochene Sich-selbst-und-andere-fotografieren, das ständige Posen und Posten der Jugend aus. Sind die überhaupt noch in der Lage, etwas wirklich zu erleben? Einfach mal besinnlich aufs Wasser zu schauen, das doch gerade so schön im Abendrot glänzt?
Allerdings ist auch dieses Befremden nicht neu. Bereist 1928 beklagte die Berliner Modejournalistin und Expertin für guten Stil Ola Alsen die Unsitte, andere im Badeanzug zu fotografieren: „Zu den modernen Krankheiten gehört die Photografiersucht. Wohin man schaut, sind Amateure bei der Arbeit.“