Indien ist ein anstrengendes, aber kein gefährliches Reiseland

„Madam, please foto! Please Madam, just one foto!“ Jede westlich aussehende Frau, die schon einmal durch Indien gereist ist, kennt diese offensive Bitte. Meist sind es mit Smartphones bewaffnete Gruppen junger Männer, für die ein Bild mit einer hellhaarigen Fremden eine Trophäe bedeutet. Was zunächst schmeichelhaft scheint, kann schnell lästig werden. Wenn die Jungs immer näher rücken und ihre Hände auf einmal überall haben. Weil sie sich bei Touristinnen trauen, was sie bei ihren Freundinnen niemals tun würden. Das passiert. Aber es passiert eben auch, dass die jungen Männer einfach nur freundlich sind und eifrig die wenigen Fakten aufzählen, die sie über Deutschland wissen. Das richtige Maß an Nähe und Distanz zu finden ist schwierig in einem Land, in dem völlig andere soziale Spielregeln gelten als wir sie kennen. Angesichts der Fälle sexueller Gewalt ist die Frage berechtigt, ob man als Frau überhaupt noch nach Indien fahren kann. Offizielle Antworten auf die Frage, wie reisende Frauen sich verhalten sollen, bekommt man nicht. Der indische Tourismusverband, der mit dem Slogan „Incredible India“ wirbt, verweist an die indische Botschaft in Berlin. Dort wird man gebeten, die Frage schriftlich einzureichen, damit sie an die entsprechende Stelle in Delhi weitergeleitet werden kann. Offenbar ist die Angst vor nachhaltigem Imageschaden groß. England und die Schweiz haben Reisewarnungen ausgesprochen. Auf der Seite des Auswärtigen Amtes dagegen heißt es: „Das allgemeine kriminelle Risiko für Ausländer in den touristisch stärker erschlossenen Gegenden Indiens ist eher gering. Reisende, vor allem Frauen, sollten sich – insbesondere vor dem Hintergrund zuletzt vermehrt berichteter sexueller Übergriffe – stets von Vorsicht leiten lassen.“ Sich von Vorsicht leiten zu lassen ist ein guter Rat für jede Reise. Leider wird er gerade in Indien oft nicht beherzigt. Kommen doch viele mit dem dringenden Wunsch, gewohnte Grenzen zu überschreiten, neuen Sinn zu finden, außergewöhnliche spirituelle Erfahrungen zu machen. Und werfen dann mit den Beschränkungen des Ego den gesunden Menschenverstand gleich mit über Bord. In Varanasi euphorisch in die Fluten des Ganges zu tauchen bringt wohl eher Durchfall als Erleuchtung und mit dem nackten Sadhu am Straßenrand seinen halluzinogenen Trunk zu teilen, ist auch nicht die beste Idee. Wer sich aber einigermaßen vernünftig verhält und ein paar Regeln beachtet, kann auch in Indien recht sicher reisen. Cornelia Knietzsch, die mit ihrer Firma Expenova Reisen seit vielen Jahren Touren durch asiatische Länder organisiert, sagt: „Indien ist ein anstrengendes Land, aber ich habe es bisher nicht als besonders gefährlich erlebt. Bestimmte Dinge sollte man allerdings, besonders als Frau, natürlich beachten.“ Angemessene Kleidung zum Beispiel. „Man muss sich nicht gerade in einen Sari wickeln, das sieht bei Touristinnen meistens ziemlich blöd aus, aber Knie und Schultern sollten bedeckt sein. Shorts, kurze Röcke und Trägershirts werden als anzüglich empfunden“, sagt Knietzsch. Auch von intensivem Blickkontakt mit einem Mann rät sie ab: „Das wird leicht als Aufforderung missverstanden.“ Zu erwähnen, dass man verheiratet ist und Kinder hat, schütze oft vor Zudringlichkeiten. „Das wird in Indien respektiert.“ Wenn man belästigst werde, rät die Reiseautorin Ute Junker Laut, deutlich Respekt einzufordern. Wenn sie im Gedränge angegrabscht wird, ruft sie laut: „What do you think you are doing? How would you feel, if a man treated your mother and sister like that?“ Frauen, die gerne alleine am Strand liegen möchten, würde Knietzsch nicht unbedingt Indien als Reiseland empfehlen. An öffentlichen Stränden baden indische Männer und Frauen oft getrennt. Wenn nicht, tragen die Frauen meist ihren Sari. Im Bikini sollte man daher besser am Hotelpool bleiben, hier ist westliche Badekleidung nichts Ungewöhnliches. Am Strand sollten Touristinnen lieber ein bisschen mehr anhaben und sich am besten in der Nähe einer Strandbar aufhalten. Ratsam ist es auch, die Unterkunft und den Transfer vom Flughafen vor der Abreise zu organisieren. Es lohnt sich, lieber ein bisschen mehr Geld für die Unterkunft auszugeben. Taxis sollte man an den Prepaid-Ständen in Flughäfen oder Bahnhöfen oder vom Hotel aus buchen, in Zügen gibt es Abteile nur für Frauen. Sehr angenehm und nicht übermäßig teuer ist es, über einen seriösen Reiseveranstalter einen Fahrer zu engagieren. Große Feste und andere Menschenansammlungen sollte man meiden, hier kippt die Stimmung oft und im Gedränge werden Männer manchmal zudringlich. Ein guter Tipp ist es, sich in der Nähe indischer Familien und Frauen mit Kindern aufzuhalten. Oft nehmen Inderinnen eine Touristin bei solchen Anlässen in ihre Mitte. Solch aufrichtiger und oft rührender Anteilnahme begegnet man in Indien häufig. Wenn der Betreiber des Internetcafés beim zweiten Besuch besorgt nach dem Wohlergehen der Mutter fragt (weil er seinen Kunden völlig selbstverständlich über die Schulter schaut und liest, was sie schreiben), ist er wirklich interessiert. Und wenn der Rikschafahrer vor dem Hotel wartet, bis die Kundin sicher im Zimmer ist oder der Schaffner vor dem Abteil sitzen bleibt, um lästige Besucher abzuwehren, ist das echte Fürsorge. Wie sie in Deutschland kaum einer Fremden entgegengebracht wird.

FOTO: BETTINA HOMANN