Am ersten Tag der Fashion Week drehte sich alles um die Frage, die Herbert Grönemeyer bereits 1984 gestellt hat: Wann ist ein Mann ein Mann? Oder genauer: wann sieht ein Mann wie ein Mann aus?
Mit Ivanman, Sadak, Dyn und Sopopular traten gleich vier Berliner Label hintereinander an, um die Vision von dem zu präsentieren, was Männer nächsten Winter tragen werden. Vor allem eines zeichnet sich ab: wenn es nach dem Willen der Designer geht, sollten Männer sich deutlich mehr trauen.
Als erster zeigte der gebürtige Serbe Ivan Mandzukic die neueste Kollektion seines 2010 gegründeten Labels Ivanman. Das Publikum wurde in den Raum gebeten, in dem die Models auf Podesten standen. Während man noch zu enträtseln versuchte, was die dort herrschende Dunkelheit zu bedeuten habe, wurde es hell und man sah: leuchtende Farbenpracht! Ein moosgrüner Mantel über einer magentafarbenen Weste über einem orangefarbenem T-Shirt. Eine orangefarbene Jacke über hellblauem Strickpulli über olivgrünem Hemd. Eine weiße knielange Weste, in der Taille mit roten Bändern abgesetzt. Trotz vordergründiger Dissonanz funktionieren diese Farbexperimente erstaunlich gut. Insbesondere in Kombination mit den schweren Wollstoffen und der klaren Präzision der Schnitte. Kurze Blousonjacken und sportliche Strickpullover, doppelreihige Westen mit langen Mänteln darüber, klassisch geschnittene schmale Hosen. Auffällig auch die Schnürschuhe mit den roten Absätzen – ein Vorgeschmack auf die Zusammenarbeit des Designers mit dem Schuhhersteller Shoepassion.
Wie schon mit ihrer blumigen Sommerkollektion, die für den Start Your Fashion Business-Preis des Berliner Senats nominiert war, bewies Frida Homann, dass verträumte Zartheit und Männlichkeit durchaus zusammen gehen. Elfenhafte Jungs mit weichen Locken trugen die neuesten Kreationen ihres Labels Dyn über den Laufsteg. Große Hüte zu drapierten Capes und Mänteln aus Wollstoffen in Creme, pudrigem Blau und Beerentönen, Jacken, mit Tressen und Epauletten verziert, was zwar auf Uniformen verweist, aber so gar nichts martialisches hat. Stiefel über Hosen mit hoher schmaler Taille, ein Samtjacket in Altrosa, dazu ein zart bedrucktes Seidentuch locker geknotet. Die Show erzeugte eine dichte und stimmige Vision: märchenhaft-verträumt und dabei ganz und gar zeitgemäß.
Nicht allzu mutig müssen Männer für die neueste Kollektion von Sopopular sein. Wie gewohnt zeigt Daniel Blechmann schlicht funktionale Looks für Männer, die auch als Erwachsene ein bisschen Jungs bleiben wollen. Hosen mit lockerem Schritt, lang oder bis kurz übers Knie, Sweatshirts, Blousons, kurze Mäntel mit Kapuze – fast ausschließlich schwarz. Kleine extravagante Akzente bilden Shirts und Hosen aus glänzendem Kunststoff und milchig durchsichtige Regenmäntel.
Den nachhaltigsten Eindruck hinterließ Sasa Kovacevic. Der Designer, der 2010 sein Diplom an der Universität der Künste machte, hat in den letzten Jahren für sein Label Sadak einen avantgardistisch eigenwilligen Mix aus traditionellen Trachten vom Balkan und dem Hip Hop inspirierten Look der Vorstädte entwickelt. Keine Modejungs, sondern echte Männer laufen bei seinem Fashion Week Debut zu heftigen Beats über den Laufsteg, muskulös, Hals und Hände tätowiert, bärtig, multi-ethnisch. Zu sehen sind asiatisch anmutende Blumenprints auf leuchtend hellroten Kutten, Kapuzenshirts und weiten Hosen mit tiefem Schritt. Sweater mit Einhörnern bedruckt, knielange und lange Hosen, glänzender Schlabberlook, der an Ballonseidenenes und Trainingsanzüge denken lässt. Kovacevic schafft Looks, die extrem auffällig und exzentrisch sind. Eigenschaften, die üblicherweise Männermode nicht zugestanden werden. Dennoch haben seine Männer nichts geckenhaftes, sondern strahlen eine geradezu machohafte Selbstsicherheit aus. Entsteht hier vielleicht ein neues Männerbild?
„Meine Zielgruppe wächst“, sagt Sasa Kovacevic nach der Show. „Mutig, aufgeschlossen, edgy“ beschreibt er sie und ist überzeugt: „Es gibt immer mehr Männer mit Mut zu extravaganten Looks“.
Kulturgeschichtlich betrachtet wäre das nichts Ungewöhnliches. Jahrhunderte lang waren es die Männer, die sich herausputzten wie die Paradiesvögel. Zur Zeit der Renaissance trugen sie Miniröcke mit zweifarbigen Leggings, im Barock kurze Pumphosen zu hochhackigen Schuhen. Erst nach der französischen Revolution änderte sich das. Im bürgerlichen Zeitalter waren nicht mehr Raffinesse und Stil gefragt, sondern Fleiß und Bildung im Dienste des Wohlstandes. Männer waren von nun an für den Ernst des Lebens zuständig und der kam grau und im Anzug daher. Wer Macht und Einfluss hatte, galt fortan, hatte es nicht nötig, sich auffällig zu kleiden.
In den letzten Jahren hat sich vieles geändert. Frauen haben Macht – und tragen Anzüge. Männer, insbesondere die jungen, wollen nicht mehr Ernährer sein. Was sie sein wollen, wissen viele nicht so genau. Sie probieren allerlei aus – auch modisch. Und wo ginge das besser als in Berlin? In der U-Bahn guckt keiner komisch und allzu viele Jobs mit strengem Dresscode gibt es auch nicht.